Besonderes Wochenende auf dem BDKJ-Jugendhof

Caritas holt Geschwister behinderter Kinder aus dem Schatten

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Wenn sich alles um die Schwester mit Down-Syndrom oder den Bruder im Rollstuhl dreht, werden die Geschwister oft übersehen. Ein besonderes Treffen in Vechta will sie in den Fokus rücken.

Manche nennen sie Schattenkinder. Rüdiger Schipper findet den Begriff durchaus passend. „Die Gesellschaft sieht sie meist nicht“, sagt er. Sondern schaue eher auf ihre Geschwister: die Kinder mit Erkrankungen und Beeinträchtigung selbst, deren Sorgen und Probleme. Ihre nicht-behinderten Schwestern oder Brüder dagegen blieben meist im Hintergrund.

„Vor allen Dingen, weil sie unauffällig sind“, sagt der Realschulleiter aus Altenberge. Weil sie früh gelernt hätten, Rücksicht zu nehmen und ihren Eltern zu helfen. Weil alles sich ständig um den Bruder oder die Schwester drehte. Und sie selbst meist nur funktionieren mussten.

Vier Millionen „Geschwisterkinder“ in Deutschland

So etwas prägt. Rüdiger Schipper hat das als Betreuer bei Ameland-Freizeiten erlebt. „Den meisten Ferienlager-Kindern mussten wir erst mal erklären, dass jeder nach dem Essen sein Geschirr wegräumt.“ Anders bei Geschwistern behinderter Kinder. „Die machen das von allein. Weil das für sie immer schon selbstverständlich war.“

Rund vier Millionen Kinder in Deutschland wachsen mit einem schwer erkrankten oder behinderten Geschwisterkind auf. Und nur selten bekommen sie Gelegenheiten wie die, die der Landes-Caritasverband Oldenburg einmal im Jahr organisiert: ein entspanntes Wochenende mit anderen erleben zu können, fernab von den Herausforderungen zu Hause.

Mitte November auf dem BDKJ-Jugendhof

Seit mehr als zehn Jahren organisiert Rüdiger Schipper im Auftrag des Landes-Caritasverbands (LCV) Oldenburg diese Wochenenden, gemeinsam mit seiner Frau Saskia, einer Sozialpädagogin, und Sophie Kolbeck als weiterer Referentin. Nach drei Jahren Corona-Pause ist es in diesem Jahr zum ersten Mal wieder so weit, auf dem BDKJ-Jugendhof in Vechta.

„Wir wollen den Kindern und Jugendlichen einfach mal eine schöne Zeit machen, wo sie für sich sein können, rauskommen“, sagt Schipper, der die St.-Anna-Realschule in Stadtlohn leitet und während seines Lehramts-Studiums an der Uni in Vechta in Kontakt mit dem Caritasverband gekommen war. Die Geschwisterkinder sollen Gemeinschaft genießen mit anderen, die etwas Ähnliches erleben – oder einfach nur die Seele baumeln lassen. „Ohne Verpflichtungen und ohne Verantwortung übernehmen müssen für irgendwas.“ Von Freitagmittag bis zum Sonntag nach dem Mittagessen.

Sie haben früh eine besondere Rolle

Was ist bei Geschwistern von behinderten Kindern denn so anders? Rüdiger Schipper muss nur kurz überlegen. „Sie haben in ihren Familien früh eine besondere Rolle“, sagt er. „Ihre Eltern sind oft stark eingebunden in Betreuungsaufgaben, bei manchen kommt regelmäßig eine Pflegekraft ins Haus, Urlaube sind selten oder nur eingeschränkt möglich, wenn überhaupt.“

Für die Geschwister, die eigentlich auch mal Mama und Papa bräuchten, bleibt oft kaum Zeit. Im Gegenteil: Sie helfen mit. Die Eltern steckten dabei oft in einem Dilemma. Wenn sie gerne mehr mit den nicht-behinderten Geschwistern machen würden, aber sagen müssen: „Leider geht jetzt Deine Schwester vor.“

Vielen ist nicht bewusst, was sie leisten

Dabei nähmen viele von ihnen ihre besondere Situation gar nicht selbst wahr. „Ihnen ist das nur unterschwellig bewusst“, vermutet Rüdiger Schipper. „Sie wissen natürlich, dass vieles nicht selbstverständlich ist. Aber oft ist ihnen nicht klar, wie viel sie eigentlich leisten.“

Und zwar nicht etwa, weil ihre Eltern das ausdrücklich verlangen würden. „Es kommt bei vielen automatisch.“ Etwa, wenn das Zu-Bett-Bringen des behinderten Kindes viel Zeit braucht, dass sie unaufgefordert den Tisch ab- und die Spülmaschine einräumen, damit es schneller geht.

Viele Kinder sind hochgradig sozial

„Das merkt man den Kindern auch an“, weiß Rüdiger Schipper aus zehn Jahren Erfahrung bei den Wochenenden für Geschwisterkinder. „Sie sind hochgradig sozial und von ihrer Entwicklung her oft schon weiter, sind erwachsener und vernünftiger.“ Das sei aber nicht unbedingt nur ein Vorteil. „Denn viele würden gerne selbst noch mal richtig Kind sein.“

Doch bei allen Problemen sieht Rüdiger Schipper auch die gute Seite für die Geschwisterkinder. Er ist überzeugt: „Sie profitieren dauerhaft von ihren Erfahrungen. Weil sie eine hohe Selbständigkeit und eine hohe Sozialkompetenz erwerben, die ein Leben lang nützlich sein können.“

Geschwisterwochenende 2023
Geschwister von kranken oder behinderten Kindern im Alter von 8 bis 14 Jahren treffen sich auf Einladung des oldenburgischen Landes-Caritasverbands an diesem Wochenende (10. – 12. November 2023) auf dem BDKJ-Jugendhof in Vechta unter dem Motto „Ich bin wichtig! Ein Wochenende nur für dich!“ Die Leitung haben Saskia und Rüdiger Schipper sowie Sophie Kolbeck. Nähere Informationen über Geschwister-Kinder-Angebote des LCV gibt es unter 04441/8707625.

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