Wie ein Arbeitstier ins Brauchtum zum Fest gelangte

Der Esel fehlt im Weihnachtsevangelium – wie kommt er an die Krippe?

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Die alten Kulturen des Nahen Ostens waren ohne Esel undenkbar, in der Bibel kommt er mehrfach vor. Heute gehört der Esel in jede Weihnachtskrippe – auch wenn das Lukasevangelium ihn in der Geschichte von Jesu Geburt gar nicht erwähnt.

Ohne Ochs und Esel ist die Weihnachtskrippe undenkbar. Dabei heißt es im Lukasevangelium zwar, dass Maria das Kind in eine Krippe legte – von Tieren ist aber nicht die Rede.

Jesus wird in der Bibel erst kurz vor seiner Kreuzigung mit einem Esel in Verbindung gebracht: Auf dem Rücken einer Eselin zieht er königlich in Jerusalem ein, ein Symbol für Demut und Frieden.

Etwa im siebten Jahrhundert tauchen im apokryphen sogenannten Pseudo-Matthäus-Evangelium schließlich Ochs und Esel bei Jesu Geburt auf. Dieser lateinische Text bezieht sich auf den Propheten Jesaja, der diesen Tieren im Alten Testament besondere Fähigkeiten zugesprochen hatte: „Der Ochse kennt seinen Besitzer und der Esel die Krippe seines Herrn.“ Auch der Prophet Habakuk hatte laut der griechischen Bibelübersetzung verkündet: „Zwischen zwei Tieren wirst du erkannt.“

Unentbehrliches Arbeitstier

Gründe genug, das geduldige Tragtier in das christliche Volksbrauchtum rund um Weihnachten einzuführen. Franz von Assisi ließ Überlieferungen zufolge 1223 in einer Grotte bei Greccio in Italien ein Krippenspiel samt Ochs und Esel aufführen. Die Jesuiten von Prag bauten 1562 die erste Weihnachtskrippe auf, wie wir sie heute kennen.

Im Alltag war der Esel zu biblischen Zeiten unentbehrlich als Arbeitstier. Vor mehr als 3.000 Jahren erreichte der afrikanische Hausesel Syrien, wo er mit dem Asiatischen Wildesel gekreuzt wurde. Domestiziert worden war das Tier schon tausende Jahre vorher in Ostafrika. Auch in Pharaonen-Gräbern wurden Esel-Skelette gefunden.

Der Gott des Alten Testaments schätzt den Esel

Angepasst an die Geröllpfade des nordostafrikanischen Hochlandes, bleiben Esel bei Gefahr lieber stehen, als sich die Beine zu brechen. Wer das nicht nachvollziehen kann, nennt sie „störrisch“.

Der alttestamentliche Gott wusste es besser. Immer wieder bediente er sich eines Esels, wenn es um „alles oder nichts“ ging.

Ein früher biblischer Esel spielt eine wichtige Rolle, als Gott die Kinder Israels auf ihrem Wüstenweg ins gelobte Land vor dem Fluch eines Magiers rettet. Der Magier Bileam zog im Auftrag des Königs von Moab den Hebräern feindlich entgegen, als sich ihm der Engel des Herrn in den „abschüssigen“ Weg stellte.

Saul und Samuel

Bileam sah ihn nicht, wohl aber seine Eselin. Zweimal wich sie aus und kassierte Prügel von ihrem Herrn. Beim dritten Mal sank sie in die Knie. Da gingen Bileam die Augen auf.

Schon für den biblischen König Saul war der Esel schicksalsträchtig und für seinen Vater Kisch existenziell: Als ihm seine Eselinnen verloren gingen, schickte Kisch seinen Sohn aus, sie zu suchen. Nach langer vergeblicher Suche bat Saul den Seher Samuel um Hilfe. Im Auftrag Gottes salbte ihn der Prophet zum ersten König Israels und sagte ihm: „Die Eselinnen sind gefunden.“

Der Esel war auch ein Lieblingstier des griechischen Musen- und Sonnengottes Apoll, wie der altgriechische Dichter Pindar erklärt. Der Essayist Fritz Vogelgsang schreibt im Kommentar zu seiner Übersetzung der andalusischen Eselselegie „Platero und ich“: „Apoll war im Anfang ein Eselsgott.“

Die Gegenwart

Der spanische Literaturnobelpreisträger Juan Ramón Jiménez hat mit seinem „Platero“ das graue Tier 1916 zu einem Begleiter auf dem Weg zu Gott gemacht: Der demütige Esel sollte den Menschen als Vorbild dienen und über die Schwelle ihres verblendeten Egos ins „Offene“ führen.

In der Gegenwart sieht der Dichter und Büchner-Preisträger Jan Wagner im Esel beinahe ein Anagramm für die „Seele“, wie er in einem Essay für die Europäischen Literaturtage schrieb. In seinem Gedicht „drei esel, sizilien“ sind sie eine lebendige Verbindung in die Vergangenheit: Darin stehen die süditalienischen Esel unbeweglich, die „rücken unter unsichtbaren lasten gedrückt“, als „wüchsen sie im lehm“ und Wagner fragt: „lauschten sie auf bethlehem?“.

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