Eine Reise-Foto-Reportage nach Italien - und 800 Jahre zurück

Weihnachten in Greccio, wo Franziskus das erste Krippenspiel inszenierte

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Vor 800 Jahren inszenierte der heilige Franziskus n Greccio die erste Krippenfeier. Dorthin reiste in jungen Jahren Robert Boecker, Chefredakteur der Kölner Kirchenzeitung. Noch heute wird für ihn beim Gedanken an dieses Erlebnis die Faszination lebendig.

Kennen Sie das Gefühl, wenn Zeit und Raum in einer perfekten Harmonie übereinzustimmen scheinen? Wenn ein Gefühl tiefster Zufriedenheit und Erfüllung in solchen Augenblicken Herz und Seele durchströmt. Ich habe in meinem Leben nur wenige Situationen gehabt, in denen mir solche Momente geschenkt wurden. An einen dieser Momente erinnere ich mich, als wäre es gestern gewesen. Dabei sind seit jenem Tag schon viele Jahre vergangen.

Es war an einem eiskalten Wintertag zwischen Weihnachten und Neujahr in Greccio, einem 1500-Seelen-Städtchen im Rietital in Umbrien. Am Heiligen Abend 1223 hatte hier der heilige Franziskus in einer Grotte in den Bergen oberhalb des Ortes ein Krippenspiel mit lebendigen Tieren und einem Neugeborenen zur Erinnerung an das Geschehen im Stall von Bethlehem gefeiert. 800 Jahre ist das jetzt her. Auch wenn es schon vor dieser Inszenierung vereinzelt in Adelspalästen und großen Klöstern Krippendarstellungen gegeben hat, gilt allgemein das Krippenspiel des heiligen Franz als der Beginn einer Krippentradition, die heute nicht mehr aus unseren Kirchen und Wohnhäusern wegzudenken ist.

Damals waren wir zu viert – unser Kaplan und drei junge Erwachsene – am Zweiten Weihnachtstag mit einem klapprigen Ford Transit vom Rheinland aus in Richtung Umbrien aufgebrochen. Im Laderaum hatten wir eine elektronische Orgel. Sie war als Geschenk für die Pfarrgemeinde in Piediluco, wenige Kilometer von Greccio entfernt, gedacht. Fünf Monate zuvor, im Sommer,  hatte der dortige Pfarrer sein riesiges Pfarrhaus geöffnet und uns – 17 jungen Menschen zu Fuß unterwegs auf den Spuren des heiligen Franziskus – Quartier geboten. Die erfahrene Gastfreundschaft war so überwältigend, dass wir nicht nur unseren Aufenthalt um einen Tag verlängerten, sondern beschlossen, der Gemeinde, die in der Kirche über keine Orgel verfügte, ein solches Instrument zu schenken.

Still und kalt

Auch tagsüber steigt in diesen Tagen das Thermometer nicht über null Grad. Wie erstarrt präsentiert sich die Landschaft. Alles ist mit Raureif bedeckt. Niemand ist unterwegs. Die Menschen sitzen in ihren Häusern und heizen mit Holz die Öfen in ihren Wohnungen. Der Duft von verbranntem Holz hängt über dem ganzen Ort.

Groß ist die Freude, als wir nach 16 Stunden Fahrt unerwartet in Piediluco ankommen.

Wenn wir schon in den Weihnachtstagen da seien, sollten wir doch auch nach Greccio fahren, schlägt Don Mario, der als Pfarrer von Piediluco auch Leiter einer Einrichtung für Menschen mit geistiger Einschränkung ist, vor. Ohne auf eine Antwort zu warten, greift er zum Telefon, kontaktiert einen befreundeten Franziskaner im Heiligtum von Greccio  und kündigt unseren Besuch an. Am späten Nachmittag machen wir uns auf den Weg. Don Mario begleitet uns. Am Ortseingang von Greccio – die Partnerstadt ist sinnigerweise Bethlehem – begrüßt uns ein großes Schild mit der frei übersetzten Inschrift „Greccio, der Ort der ersten Krippenfeier“.

Moment der harmonie

Mit dem Sonnenuntergang erreichen wir das Kloster, das wie ein Schwalbennest am Monte Lacerone klebt. Im 13. Jahrhundert wurde es über der Grotte, in der die Krippenfeier stattfand, erbaut. Als wir dort aussteigen und von der Terrasse den Blick über die Landschaft des Rietitals schweifen lassen, ist dieser Moment der Harmonie, der Eintracht von Raum und Zeit da: Im letzten Licht des Tages kann man die rund 40 Kilometer entfernte schneebedeckte Kuppe des Monte Terminillo sehen.

Innerhalb kürzester Zeit blitzen am klaren Himmel immer mehr Sterne auf. Kein Geräusch ist zu hören, kein Mensch zu sehen. Ein weihnachtlicher Frieden liegt über dem Land. Ein grandioses Erlebnis, das nur schwer zu vermitteln ist. Auch nach vielen Jahren ruft die Erinnerung bei mir während des Schreibens dieser Zeilen eine Gänsehaut hervor. Am Heiligen Abend vor 800 Jahren war am gleichen Ort mehr los. Thomas von Celano, der erste Biograf des Heiligen, hat die Ereignisse jenes Tages wie folgt beschrieben:

„Etwa vierzehn Tage vor der Geburt des Herrn ließ der selige Franziskus einen Mann namens Giovanni zu sich rufen und sprach zu ihm: ‚Wenn du wünschst, dass wir in Greccio das Fest des Herrn feiern, so gehe eilends hin und richte sorgfältig her, was ich dir sage. Ich möchte nämlich das Gedächtnis an jenes Kind begehen, das in Bethlehem geboren wurde, und ich möchte die bittere Not, die es schon als kleines Kind zu leiden hatte, wie es in eine Krippe gelegt, an der Ochse und Esel standen, und wie es auf Heu gebettet wurde, so greifbar als möglich mit leiblichen Augen schauen.‘

Freudiges Treiben

Es kam der Tag der Freude. Aus mehreren Niederlassungen wurden die Brüder gerufen. Männer und Frauen jener Gegend eilen herbei und werden bei dem neuen Geheimnis mit neuer Freude erfüllt. Nun wird eine Krippe zurechtgemacht, Heu herbeigebracht, Ochs und Esel herzu geführt. Franziskus legt die Gewänder eines Diakons an, denn er war Diakon, und singt mit wohlklingender Stimme das heilige Evangelium. Seine Stimme, diese starke, sanfte, klare Stimme, lädt alle dazu ein, den Herrn zu preisen. Dann predigt er dem Volk mit lieblichen Worten von der Geburt des armen Königs und von der kleinen Stadt Bethlehem.

Oft, wenn er Christus ‚Jesus‘ nennen wollte, nannte er ihn, von übergroßer Liebe erglühend nur ‚das Kind von Bethlehem‘, und wenn er ‚Bethlehem‘ aussprach, klang es wie von einem blökenden Lämmlein.

Ein frommer Mann hatte eine wunderbare Vision. Er sah nämlich in der Krippe ein lebloses Knäblein liegen; zu diesem sah er den Heiligen Gottes hinzutreten und das Kind wie aus tiefem Schlaf erwecken. Gar nicht unzutreffend ist diese Vision; denn der Jesusknabe war in vieler Herzen vergessen. Da wurde er in ihnen mit Gottes Gnade durch seinen Diener Franziskus wieder erweckt und zu eifrigem Gedenken eingeprägt.“ (1 Cel.)

Exklusive Führung

Als wir an der Klosterpforte klingeln, dauert es einige Minuten, ehe geöffnet wird. Groß ist das Hallo, als der Franziskaner Don Mario erkennt. Auch wir werden herzlich willkommen geheißen. Und dann bekommen wir eine exklusive Führung durch das Heiligtum. Sie beginnt in der Grotte, wo das Krippenspiel stattgefunden hatte. Ein mittelalterliches Fresco gibt das Geschehen vom Heiligen Abend 1223 wieder.

So wie wir, haben zwei der letzten drei Päpste an diesem Ort gebetet. Im Juni 1983 besuchte Johannes Paul II. Greccio. Papst Franziskus kam im April 2021 an den Ort, an dem sein Namensgeber Weltgeschichte schrieb.

Zurück in die Gründungszeit

Es ist ein besonderer Geist, der in dem Heiligtum spürbar ist. Der Pater zeigt uns die Räume, in denen die Brüder in der Gründungszeit des Klosters lebten. Winzige Zellen, aber mit einer grandiosen Aussicht. Die Einfachheit und Armut, die Ideale des Franziskus, sind überall Wirklichkeit. Damals war jede Form von selbst kleinstem Luxus verpönt. Die Vorstellung, in einer Höhle auf dem nackten Felsen zu schlafen, weckt beim Betrachter des 21. Jahrhunderts keine angenehmen Gefühle. Die Führung endet in der neuen Kirche, die großzügig gebaut ist und einer größeren Schar von Gläubigen Platz bietet.

Auch wenn es inzwischen unbestritten ist, dass Franziskus nicht der Erfinder der Krippendarstellung ist, so kommt ihm doch ein großes Verdienst zu: „Franziskus hat historisch erstmals fassbar ein Krippenspiel inszeniert. Er ist der Erfinder“, betont der Historiker, Theologe und Franziskusexperte Bruder Dr. Niklaus Kuster, ein Kapuziner. Für Bruder Thomas Freidel, den in Assisi lebenden deutschen Minoriten, besteht das Besondere darin, dass Franziskus die Menschwerdung Christi mit der bleibenden Präsenz Christi in der Eucharistie zum Ausdruck gebracht hat. Ein weiterer wichtiger Aspekt des Geschehens in der Weihnachtsnacht 1223 sei die Platzierung in die Lebenswirklichkeit der einfachen Menschen. Das sei das unerhört Neue gewesen, sagt Bruder Thomas.

Perfekte Harmonie

Natürlich steht Greccio in diesen Tagen ganz im Zeichen des großen Jubiläums. Ob die vier noch heute im Kloster lebenden Minoriten froh sind, wenn der Trubel vorbei ist und das Kloster in seine normale Ruhe zurückkehrt? Wer weiß?

Vielleicht war nach dem Gottesdienst in der Weihnachtsnacht dem ein oder anderen als ein besonderes Geschenk die Erfahrung gegönnt, die mir einst zuteil wurde und die mich bis heute zutiefst bewegt: der Moment der perfekten Harmonie von Raum und Zeit – der Frieden der Weihnachtsnacht.

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