Martin Liebschwager hat seltene Sammelleidenschaft

Ein Stück Provence in Harsewinkel - die Krippe hinterm Klosterladen

Anzeige

200 menschliche Figuren, 50 Tiere und viele Gebäude – das sind die Eckdaten der ganz besonderen Krippenlandschaft von Martin Liebschwager. Besucher können das Ergebnis jahrzehntelanger Sammelei im Kreis Gütersloh bestaunen.

Was hat ein Schürzenjäger in einer Krippenlandschaft zu suchen? Er ist ein Muss, jedenfalls in der provenzalischen Krippe. Lou Pistachié (Pistazien gelten in der Provence als Aphrodisiakum, daher der Spitzname) ist zwar dumm und ein Faulenzer, gleichwohl bringt er zwei Körbe mit Nahrung zur Krippe. Das ist nur eine der vielen Geschichten rund um die Bewohner eines provenzalischen Dorfes, das in die Weihnachtsgeschichte eingebettet ist.

Geschichten, die Martin Liebschwager (67) liebt und auswendig kennt. Der evangelische Pfarrer in Ruhestand aus Harsewinkel (Kreis Gütersloh) hat nämlich eine besondere Sammelleidenschaft. Er hat eine Santons-Sammlung aufgebaut, „kleine Heilige“, die während der Weihnachtszeit in jedem südfranzösischen Haus zu finden sind. Und auch in einem Raum hinter dem Marienfelder Klosterladen. Und wer den betritt, kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus.

Regelmäßig in der Provence unterwegs

Aber der Reihe nach. Als Student verschlägt es Liebschwager für ein Semester auch in die Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel in Bielefeld. Dort entdeckt er eine Ausstellung mit Santons, nur neun Zentimeter große „kleine Heilige“. „Ich wusste vorher nichts von diesen bemalten Tonfiguren“, berichtet er. Er fasst den Entschluss: „Wenn ich mein eigenes Geld verdiene, baue ich mir auch eine provenzalische Krippe auf.“

1975 besucht er erstmalig Südfrankreich. Seit den 1980er Jahren reist er mindestens einmal jährlich in die Region am Mittelmeer. Doch bis er die Figuren findet, die ihm gefallen, vergeht eine Zeit mit vielen Besuchen bei Santonniers und auf Märkten rund um Marseille. „Manche waren mir einfach zu kindisch-naiv“, sagt er. Irgendwann findet er „seine“ Santons in einem Souvenirladen in dem Örtchen Les Baux-de-Provence. Liebschwager lässt sich die Adresse des Santonniers Jouve in Pertuis im Département Vaucluse geben und ist seitdem dort regelmäßiger Besucher.

Große Krippensammlung für Besucher geöffnet

Martin Liebschwager (67) war von 1984 bis 2022 Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde in Harsewinkel. Bereits seit 2014 engagiert er sich ehrenamtlich im Klosterladen Marienfeld. Außerdem ist er Mitarbeiter im Eine-Welt-Laden. In der Adventszeit ist er auf den Weihnachtsmärkten in der Region, unter anderem in Bad Salzuflen, Warendorf und Borgholzhausen unterwegs, und verkauft Olivenholz-Krippen aus Palästina. Seit den 1980er Jahren unterhält er viele Kontakte zu palästinensischen Christen in Bethlehem, die die Olivenholz-Krippen herstellen. Mit dem Geld aus dem Verkauf der Krippen werden diese Handwerksfamilien unterstützt. | Maria Kessing

Er legt sich zunächst eine Grundausstattung mit Krippenstall, Heiliger Familie, Ochs und Esel, Hirten, Schafen und den drei Heiligen Königen zu. Im Laufe der Jahre wächst die Krippe. Immer wenn er in Südfrankreich urlaubt, so wie zuletzt im Oktober dieses Jahres, erwirbt er neue Figuren, so dieses Mal „Le tambourinaire“, die Trommlerin. Das männliche Pendant gibt es bereits. Inzwischen ist die Sammlung ziemlich komplett. Denn zu Weihnachten lässt sich Martin Liebschwager gerne neue Teile für seine Krippe schenken. Ganz preiswert ist das Hobby mit Suchtgefahr nicht, wie der ehemalige Pfarrer einräumt. Während die Standard-Figuren mit 15 bis 20 Euro noch recht erschwinglich sind, kosten Häuser schon mal eine dreistellige Summe.

Inzwischen ist die Sammlung auf 200 menschliche Figuren, 50 Schafe und andere Tiere, Gebäude, Pflanzen, einen Olivenhain und einen Wald angewachsen. Und auch das Naturschutzgebiet Camargue mit den berühmten weißen Pferden und Flamingos findet man. Für sein privates Zuhause ist diese Krippenlandschaft inzwischen viel zu groß geworden. Deshalb hat Martin Liebschwager eine alte drei mal drei Meter große Platte einer Modelleisenbahn in einem Raum hinter dem Klosterladen aufgebaut und präsentiert sie auch gegen eine Spende Besuchergruppen. (Anmeldungen per E-Mail: liebschwager(at)online.de). Aber wie kann er neue Figuren auf dem neun Quadratmeter großen Tisch platzieren? Eine Frage, die ihm oft gestellt wird.  Dabei hilft dem ehemaligen Pfarrer ein Müllgreifer.

Das zeigt die Krippe in Harsewinkel

Es ist eine Menge los in dem südfranzösischen Dorf. Zu jeder Figur gibt es eine Geschichte. Berühmte Maler wie Paul Cézanne und Vincent van Gogh an der Staffelei tauchen in der Krippenlandschaft ebenso auf wie Frederik Mistral, Nobelpreisträger für Literatur. Er sagte über die Santons: „Der Ton ist in den Händen des Santonnier, was der Mensch in den Händen Gottes ist.“ Ein Mönch stellt Franz von Assisi dar, den Schutzpatron der Santonsmacher. Sinti und Roma, die Nomaden der Krippe, Fischer, Holzfäller, Bäcker, Bauern, Jäger, Waschfrauen, Olivenpflücker, Schornsteinfeger und Postbote in landestypischen Gewändern gehören ebenso zu der provenzalischen Miniatur-Welt.

Die Alltagsmenschen machen sich alle auf den Weg, um dem Kind in der Krippe zu huldigen. Der Vollständigkeit halber sollen auch der stolze Bürgermeister, der sich über einen neuen Bürger freut und der Dorfpfarrer, der schon immer vorausgesagt hat, dass der kleine Jesus im 18. Jahrhundert in seinem Dorf geboren wird, erwähnt werden. Zu guter Letzt: Lou Ravi, der Dorftrottel, ein armer Mann, der nichts zu bieten hat, freut sich aber über die Geburt. Er wird mit erhobenen Armen zum Himmel dargestellt, als Zeichen von Überraschung und Freude. Jesu Geburt macht ihn zu einem neuen und anderen Menschen, er öffnet sein Herz und entdeckt den Weg zum Glück in Einfachheit.

Hintergrund Santons
Die Geschichte der Santons und der Weihnachtskrippe hat ihren Ursprung schon im Mittelalter. Franz von Assisi, dessen Mutter aus Tarascon in der Provence stammte, soll 1223 die erste Krippe in Greccio geschaffen haben. Kinderkrippen, die denen ähneln, die wir kennen, sind erstmalig im 16. Jahrhundert in Kirchen aufgestellt worden. Nach der Französischen Revolution, die zur Schließung und teilweisen Zerstörung der Kirchen führte, wurden die öffentlichen Darstellungen der Krippen verboten und eingestellt. Die Provenzalen wollten sich das jedoch nicht gefallen lassen und begannen heimlich, Figuren aus Brotkrumen zu formen, die sie anschließend bemalten und zu Hause aufstellten. Dabei bildeten sie die Krippe und die Figuren nach ihrem provenzalischen Lebensumfeld ab.
1844 dichtete Antoine Maurel, ein Marseiller, eine provenzalische Weihnachtsgeschichte, die „Pastorale provençale“, in der er die Geburt Jesu in einen Stall in der Provence verlegte. Drumherum reicherte er sie mit kleinen amüsanten Geschichten rund um die Dorfbewohner an und bildete die unterschiedlichsten Charaktere ab, so wie es sie damals in einem typischen provenzalischen Dorf gab. Nachdem Napoleon sich der Kirche wieder angenähert hatte, wurden Krippen und Figuren wieder zugelassen. Nur zwei Jahre später eröffnete in Marseille der erste öffentliche Markt für Santons. | Maria Kessing

Anzeige