Von 1997 bis 2009 Präsident der katholischen Laien

Erster Ostdeutscher an der ZdK-Spitze: Hans Joachim Meyer ist tot

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Hans Joachim Meyer ist tot. Als erster Ostdeutscher stand er von 1997 bis 2009 an der Spitze des Zentralkomitees der deutschen Katholiken. Meyer wurde 87 Jahre alt. Ein Nachruf. 

Er mochte in keine Schublade gesteckt werden: „In keiner Schublade“ lautete denn auch der Titel seiner Autobiografie 2015. Hans Joachim Meyer, gebürtiger Rostocker und erster ostdeutscher Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), ist am Karfreitag im Alter von 87 Jahren in Potsdam gestorben, teilt seine Familie mit.

Unabhängiges Denken und Hartnäckigkeit kamen dem Sohn eines Apothekers und einer Lehrerin schon zu DDR-Zeiten zugute. Das Jurastudium musste er 1958 aus politischen Gründen abbrechen, ein Jahr später durfte sich Meyer für Anglistik und Geschichte in Ost-Berlin einschreiben. Trotz Distanz zum SED-Staat schaffte er es zum Professor der Sprachwissenschaften.

„Freie Debatte“ in der Kirche der DDR gelernt

Seit den 1970er Jahren engagierte sich der Katholik mit preußischer Ausstrahlung in der Kirche. Er lernte dort, „was eine freie und demokratische Debatte ist“. Nach dem Zusammenbruch der DDR leitete Meyer den „Gemeinsamen Aktionsausschuss katholischer Christen in der DDR“ und wurde ins ZdK berufen. In dieser Zeit begann auch seine politische Karriere. Lothar de Maizière (CDU) machte den unbelasteten Akademiker 1990 zum Wissenschafts- und Bildungsminister der letzten DDR-Regierung.

Meyer weinte der DDR keine Träne nach, aber verleugnete nicht seine Prägung, sein „Ossi-Herz“, wie er schrieb. So konnte er das Dilemma beschreiben, das viele frühere DDR-Bürger bis heute empfinden: „Wir wollten der Bundesrepublik beitreten und doch wir selbst bleiben.“ Während viele Westdeutsche in ihrem Alltag von der Wiedervereinigung nur begrenzt berührt waren, wurde das Leben der Ostdeutschen komplett umgekrempelt.

Klage über westdeutsche Arroganz

Das Übermaß der Westbestimmung, westdeutsche Arroganz und Besserwisserei habe die Wirklichkeit des Ostens entwertet, schrieb Meyer. Dass es die Deutschen in der DDR waren, „die als erste jene Freiheit errangen“, davon „spricht und schreibt im Westen so gut wie niemand“.

Auch als sächsicher Bildungsminister wehrte sich Meyer zu Beginn der 1990er Jahre dagegen, die Universitäten und Schulen der DDR zum Abbruch freizugeben. Das Bildungswesen der DDR sei zwar „hochideologisiert“ gewesen, „aber in seinem fachlichen Kernbestand solide und anwendungsorientiert“.

„Unkatholisch“, immer dem Papst zu gehorchen

Von 1997 bis 2009 stand Meyer als erster Ostdeutscher an der Spitze des ZdK, noch vor dem Missbrauchsskandal, der die Kirche stark verändern sollte. Den von Papst Johannes Paul II. durchgesetzten Ausstieg der Kirche aus der Schwangerenkonfliktberatung bezeichnete Meyer als bitterste Erfahrung seiner Amtszeit.

Dialogbereitschaft, aber auch Hartnäckigkeit und eine bisweilen harsche Wortwahl zeichneten Meyer als ZdK-Präsidenten aus. Dem Papst und den Bischöfen in allem gehorsam zu sein, hielt er für „unkatholisch“. Schließlich gehöre er nicht einer „Kommandokirche“ an.

Scharfer Beobachter

Im Ruhestand blieb Meyer ein gefragter Redner und Interviewpartner. Dabei teilte er ohne ideologische Scheuklappen in alle Richtungen aus. So hielt er seinen ostdeutschen Landsleuten mit Blick auf die Erfolge von AfD und Pegida einen Mangel an Dialogfähigkeit und Weltoffenheit vor. Den Westdeutschen warf er dagegen ein unterentwickeltes Nationalbewusstsein vor, das dem Rechtspopulismus Auftrieb gebe.

Würdigungen
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, hat Hans Joachim Meyer als engagierten Katholiken und aufrichtigen Politiker gewürdigt. „Für ihn galt es immer, den Dialog zwischen Kirche und Politik zu suchen. Die Deutsche Bischofskonferenz hat er kritisch-konstruktiv begleitet“, sagte der Limburger Bischof.

ZdK-Präsidentin Irme Stetter-Karp nannte Meyer einen Glücksfall für die Kirche in Deutschland. Mit seiner ostdeutschen Biografie habe er maßgeblichen Einfluss auf das Zusammenwachsen der Katholiken in Ost und West gehabt. „Er verstand es, Lebenswelten zusammenzuführen und mit brillanten Analysen der deutsch-deutschen Wirklichkeit für ein wechselseitiges Verstehen zu werben.“ Als katholischer Präsident des ersten Ökumenischen Kirchentags 2003 in Berlin habe er zudem ökumenische Zeichen gesetzt.

„Wie gut es Hans Joachim Meyer verstand, dem Katholischen eine politisch relevante Stimme in der Gesellschaft zu geben, sahen viele Menschen im Jahr 1999. Im Konflikt mit Rom um die Schwangerenkonfliktberatung in Deutschland stand er hinter der Gründung des Beratungsvereins Donum Vitae“, sagte Stetter-Karp. Dafür sei er bereit gewesen, den Konflikt mit Bischöfen und Kardinälen auszuhalten und auszutragen. | KNA

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