Ein orthopädischer Schuhmacher hilft einem syrischen Jungen

Flüchtlingskind Jwan kann endlich Fußball spielen

Als er aus Syrien nach Deutchland floh, konnte Jwan seine Füße nur unter großen Schmerzen auf den Boden setzen. Viele Menschen halfen ihm, auch ein Schuhmacher. Jetzt spielt der Neunjährige im Fußballverein.

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s läuft für Jwan. Viel besser als zuvor in seinem jungen Leben. Der Neunjährige hat Neuland betreten – in mehrfacher Hinsicht. Nach Deutschland kam er mit seinen Eltern im Oktober 2015. Die kurdische Familie war vor den Kriegswirren in Syrien geflüchtet. Doch die Füße, auf denen er damals stand, waren wackelig. Klumpfüße, die in seiner Heimat nie ausreichend  behandelt worden waren. Heute spielt er im Fußballverein des kleinen Dorfs im Münsterland, in dem er jetzt lebt. Es läuft für Jwan.

Operiert wurde er in seiner Heimatstadt zwei Mal, als Säugling und Kleinkind. Doch die Erfolge waren mäßig. Auch die Schiene, die er trug, half wenig. „Er stürzte immer beim Spielen“, sagt seine Mutter. „Und er war oft unglücklich, weil er nicht so  schnell war wie die anderen Kinder.“ Klumpfüße gehören zu den häufigsten orthopädischen Fehlbildungen weltweit. Die Behandlungsmöglichkeiten sind in vielen Ländern noch unzureichend.

 

Kindliche Sehnsucht

 

Jwan und Michael Möller
So ähnlich könnten Jwans neue Schuhe aussehen. Einen Wunsch hat er aber: „Grün sollen sie sein.“ | Foto: Michael Bönte

Auch in Deutschland war der Weg von Jwan zu einem sicheren Gang kein Selbstläufer. Es brauchte jemanden, der sich für ihn stark machte. Zum Arzt gehen, um eine Therapie zu beantragen, war nicht möglich. Als Asylsuchende stand der Familie nur eine medizinische Grundversorgung zu. Der Weg zum Spezialisten oder gar zu einer Operation aber war zu teuer. Er behielt die Klumpfüße. Und mit ihnen die Schmerzen, unzureichendes Schuhwerk und die Sehnsucht eines Kindes, gegen den Ball treten zu können wie seine Freunde.

So rannte er auf dem Pausenhof seiner Grundschule oft mit viel Ehrgeiz, aber völlig schief ausgetretenen Turnschuhen den anderen Schülern hinterher. Maria Hensel war die erste, die etwas dagegen unternehmen wollte. Die Grundschul-Lehrerin stand am Anfang einer Kette von Helfern, die Jwans nach innen gedrehte Füße so auf die Erde bringen wollten, dass er nicht nicht mehr auf den Außenkanten laufen musste.

 

Herzerfrischend fröhlich

 


Der orthopädische Schuhmacher nimmt Maß: Für die Schuhe müssen alle Details des Fußes genau domumentiert werden. | Foto: Michael Bönte

„Ich habe ihn jeden Tag mit dem Ball auf den Schulhof gesehen“, sagt seine Lehrerin. „So herzerfrischend und fröhlich wie er immer war, so traurig war es anzusehen, wie enttäuscht er manchmal über seine läuferischen Möglichkeiten war.“ Mit ihren Anruf bei Michael Möller machte sie den Anfang. Der orthopädische Schumacher in Münster ließ sich die Geschichte Jwans erzählen. Und er lud ihn mit seiner Familie zu sich ein.

Möller ist Handwerker und Geschäftsmann. In seinem Unternehmen beschäftigt er 38 Mitarbeiter. Er ist weltweit unterwegs. Seine orthopädischen Schuhe helfen auch Afrikanern und Asiaten. Einige Spitzensportler haben ihre Medaillen auch ihm zu verdanken. Die münstersche Sprinterin Tatjana Pinto, eine deutsche Meisterin, gehört  dazu. Früher der italienische Skirennläufer Alberto Tomba, mehrfacher Weltmeister und Olympiasieger.

 

Fuß mit Lebensgeschichte

 


Der orthopädische Schuhmacher nimmt Maß: Für die Schuhe müssen alle Details des Fußes genau domumentiert werden. | Foto: Michael Bönte

Renommee und das Kaufmännische ist das eine. Für Möller zählt aber noch etwas anderes. Dafür gibt es viele andere Beispiele. „Es gibt genug Menschen, die Hilfe brauchen, sie aber nicht bezahlen können.“ Für ihn ist es ein „Luxus“, dass er auch ihnen helfen kann, sagt er. „Ich habe ein tolles Mitarbeiter-Team, sie opfern Freizeit,  weil sie an der Lebenssituation der Betroffenen interessiert sind.“ So machen sie auch mal nach Feierabend einen Hausbesuch, um zu schauen, wie ein Kinde die heimische Treppe hinaufläuft. Möller und seine Angestellten bleiben nicht bei den Leisten eines Schusters. „Hinter jedem Modell eines Fußes steckt für uns eine Lebensgeschichte.“

Auch die von Jwan. Es ist ein halbes Jahr her, seitdem Möller ihm seine ersten Schuhe anpasste. Weitere Helfer machten das möglich. Der ehrenamtliche Flüchtlingshelfer aus dem Dorf, in dem der Junge jetzt lebt, genauso wie der Facharzt für Orthopädie, der die Behandlung begleitet.

 

Abgelaufen und verbeult

 


Michael Möller bei der Barbeitung eines Leisten. | Foto: Michael Bönte

Sie alle kommen auch nach Münster, als ein neues Paar Schuhe nötig wird. Man sieht den alten an, wie intensiv Jwan sie genutzt hat. Abgelaufen, verbeult und ausgetreten sind sie. „Ich habe sie fast immer angehabt“, sagt der Junge. Sein Lachen zeigt, wie gern er es getan hat. „Auf dem Fußballplatz, in der Schule, beim Spielen – eigentlich den ganzen Tag.“ Nur in der Turnhalle darf er sie nicht tragen. „Weil sie schwarze Streifen machen.“ Dann zieht er die alten Turnschuhe wieder an. Auch mit diesen läuft er bereits besser als früher.

Auf dem Behandlungsstuhl in der Firma von Möller verliert Jwan das Lachen nicht. Er weiß, worauf er sich freuen darf. Der Arzt ist zufrieden mit dem Heilungsverlauf. Vielleicht wird irgendwann noch eine Operation notwendig. Die Schuhe aber müssen jetzt langsam größer werden. Die Zehen des Heranwachsenden würden sonst vorn anstoßen.
Möller macht Abdrücke, vermisst, fertigt Muster. Und dann kommt mit der wichtigste Teil für das Flüchtlingskind. „Sportschuhe“ sollen es sein, sagt er. „Und grün.“ Auch das wird der Schumacher irgendwie hinbekommen.

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