Migrationskrise im Zentrum des Papstbesuchs in Marseille

Franziskus sieht Europa am Scheideweg der Zivilisation

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Seit seinem Besuch auf Lampedusa 2013 macht Papst Franziskus das Schicksal der Migranten auf dem Mittelmeer zu einem zentralen Thema seines Pontifikats. In Marseille hat er jetzt nachgelegt.

Mit einer eindringlichen Rede hat sich Papst Franziskus am ersten Tag seiner Marseille-Reise in der sich verschärfenden europäischen Migrationskrise zu Wort gemeldet. Bereits auf dem Flug nach Frankreich hatte er mit harten Worten das Schicksal der Bootsflüchtlinge auf dem Mittelmeer angeprangert. Er sprach von "Grausamkeit" und einem "schrecklichen Mangel an Humanität".

Sichtlich bewegt erinnerte er daran, dass viele Migranten "erst in libyschen Lagern gehalten und dann ins Meer geworfen" worden seien. Und dann machte er eine Ankündigung, die aufhorchen ließ: "Ich hoffe, dass ich den Mut haben werde, all das zu sagen, was ich sagen will."

Station am Mahnmal für Ertrunkene

Was er zum Thema Migration sagen wollte, hatte er sich für den zweiten Termin seines intensiven Besuchs in der Stadt mit dem größten Mittelmeerhafen Frankreichs vorgenommen. An einer Stele vor der Marienwallfahrtskirche Notre-Dame de la Garde, die als Wahrzeichen über der Hafenstadt steht, war ein gemeinsames Treffen mit religiösen Führern anderer Kirchen sowie des Islams und des Judentums angesetzt.

Die kleine Stele ist ein Mahnmal. Ein Kreuz, ein Herz und ein Anker sind miteinander verschmolzen und erinnern an die im Mittelmeer ertrunkenen Menschen – Seeleute und Marinesoldaten, Fischer und Flüchtlinge. Die bei ihrer Flucht nach Europa ums Leben gekommenen Menschen – allein im laufenden Jahr sind es bereits mehr als 2.300 – stellte der Papst in den Mittelpunkt seiner Worte.

Mittelmeer ein Friedhof der Suchenden

In einer Schweigeminute in der sanften spätsommerlichen Abendbrise gedachte der Papst zunächst "der vielen Brüder und Schwestern, die in Angst ertrunken sind, zusammen mit den Hoffnungen, die sie in ihren Herzen trugen". Und dann sprach er in einer dramatischen Wendung von einem "Scheideweg der Zivilisation", an dem sich Europa befinde: "Zu viele Menschen, die vor Konflikten, Armut und Umweltkatastrophen fliehen, erfahren in den Wellen des Mittelmeers die endgültige Ablehnung ihrer Suche nach einer besseren Zukunft. Und so ist dieses wunderschöne Meer zu einem riesigen Friedhof geworden, wo viele Brüder und Schwestern selbst des Rechtes auf ein Grab beraubt werden - nur die Menschenwürde wird hier begraben."

Weiter sagte Franziskus: "Wir können nicht länger die Tragödien von Schiffbrüchen mitansehen, die durch abscheulichen Menschenhandel und einen Fanatismus der Gleichgültigkeit verursacht werden. Menschen, die zu ertrinken drohen, wenn sie auf den Wellen ausgesetzt werden, müssen gerettet werden. Das ist eine Pflicht der Menschlichkeit, eine Pflicht der Zivilisation."

Begegnung oder Konfrontation?

Die Christen und die Angehörigen der anderen Religionen rief er auf, ein Beispiel zu geben. Mit Blick auf Marseille, wo es wie vielerorts in Südfrankreich fremdenfeindliche Politik auf der einen Seite und Bemühungen um Integration auf der anderen Seite gibt, sagte der Papst: "Heute steht auch Marseille, das von einem bunten religiösen Pluralismus geprägt ist, vor einem Scheideweg: Begegnung oder Konfrontation. Und ich danke euch allen, die ihr euch auf den Weg der Begegnung begebt: Ich danke euch für euer solidarisches und konkretes Engagement für die Förderung des Menschen und für die Integration."

Am Ende verabschiedete sich der Papst im Rollstuhl herzlich von den Gläubigen unterschiedlicher Religionen. Ein Chor sang dazu den lateinischen Refrain: "Wo Nächstenliebe und Liebe sind, da ist Gott."

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