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Die Pastoralreferentin ist beim Offizialat in Vechta zuständig für Spiritualität und Exerzitien. Gerade ist ihr sechster Gedichtband erschienen. Darin finden sich auch kritische Töne.
Leidenschaft. Lisa Oesterheld nickt. „Das ist ein schönes Wort für mein Schreiben“. Denn manchmal leide sie an ihren Gedichten. „Wenn ich spüre, da fehlt noch etwas, ein Gedanke, ein Wort. Es passt noch nicht.“ Der Rhythmus oder der Klang der Wörter. Ihre Entwürfe legt sie auf ein Lesepult am Fenster ihres Arbeitszimmers. „Jeden Tag schaue ich drauf, ändere etwas, feile am Ergebnis, bis ich damit zufrieden bin.“
Aus jahrelanger Erfahrung weiß die Pastoralreferentin: Sie braucht Geduld, kann es nicht erzwingen. „Meistens kommt die passende Idee irgendwann. Und das kann sehr beglückend sein.“ Das geschieht auch schon mal nachts. Deshalb liegen neben ihrem Bett stets Zettel und Stift bereit. „Ich muss die Idee immer sofort aufschreiben“, sagt sie. „Sonst ist sie morgens weg.“
Lisa Oesterheld hat einen Rückzugsort fürs Schreiben
Insgesamt sechs eigene Bücher hat die 62-Jährige bisher veröffentlicht, dazu kommen Beiträge in Sammlungen. Der Großteil sind Gedichte, aber auch ein paar Prosatexte. Im Obergeschoss ihres Hauses hat sie sich feinen Rückzugsort fürs Schreiben geschaffen. Mit einer Orchidee auf der Fensterbank, Bildern der Enkel an der Wand und mit einer Meditationsecke.
Das meiste entwirft sie handschriftlich. Anschließend lässt sie die Texte reifen, nach und nach. „Ich nehme sie ab und zu zur Hand, streiche Dinge weg, füge andere ein, bis ich es irgendwann abtippe und weiter an ihnen feile.“ So sind schon Tausende Gedichte entstanden. In ein Buch schafft es immer nur ein Bruchteil. Für ihren eben erschienenen Band „Hymne ans Leben“ standen 700 Texte zur Auswahl – 70 passten am Ende hinein.
Die Pastoralreferentin ist in Gelsenkirchen aufgewachsen
Das Buch "Hymne ans Leben" von Lisa Oesterheld können Sie hier schnell und bequem bei unserem Partner Dialogversand bestellen.
Sie schreibt schon lange. Vielleicht hat die Kindheit in Gelsenkirchen damit zu tun. Lisa Oesterheld erinnert sich, wie der Vater ihr und ihren Geschwistern sonntags Balladen vortrug. „Wir fanden das damals sterbenslangweilig.“ Sie lächelt nachsichtig. „Aber vielleicht wir haben dadurch eine Ahnung davon bekommen, welche Faszination von Gedichten ausgehen kann.“ Und auch Lust aufs Schreiben. Zuerst für die eigene Schublade. Sie hat darin Dinge verarbeitet und die eigene Entwicklung festgehalten.
Irgendwann begann sie damit, Gedichte zu verschenken. Sie erzählt von einer Frau, die erblindete und die sie seelsorglich begleitete und erinnert sich an ihre eigene Hilflosigkeit. Was sollte sie ihr in der Situation sagen? Würde Trösten helfen? „Da habe ich ihr ein Gedicht geschrieben. Weil das zarter ist und Dinge auch zwischen den Zeilen ausdrücken kann.“
In ihren Gedichten verarbeitet sie Erfahrungen
Erfahrungen mit sich selbst und mit Gott verarbeiten und so aufbereiten, dass sie andere Menschen ansprechen – das ist einer ihrer Ansätze. Gerade ist sie von Exerzitien zurück. Dabei hat sich mit dem Thema „Berufung“ beschäftigt. Vielleicht entstehen auch daraus noch Texte, mal sehen. Passen würde das. „Schreiben ist für mich wie Beten“, sagt sie.
Eigene Gedichte hat sie bei Seminaren auch schon als Impuls-Texte genutzt. Irgendwann fragten Teilnehmer: „Dein Text hat uns so gut getan. Kannst Du ihn uns noch mal geben?“ Vielleicht passierte dabei genau das, was Lisa Oesterheld als Stärke guter Gedichte sieht: „dass sie verschiedene Schichten haben, offen sind für eigene Bilder, die in den Lesern und Hörern aufsteigen können“.
Ihre Gedichte sind religiös, aber „weit gefasst“
Menschen mit ihrem eigenen Inneren in Kontakt zu bringen – das beschreibt sie als ihre Mission. Sie folge damit einem inneren Antrieb. „Ich glaube, jeder Mensch hat etwas, wozu er auf der Welt ist. Bei mir zählt Schreiben dazu.“
Sind ihre Texte religiös oder fromm? Lisa Oesterheld denkt einen Moment nach. „Ich denke ja“, sagt sie, „aber ich fasse das sehr weit.“ Den Blick auf Gottes Spur zu lenken – darum gehe es ihr. „Aber es soll nicht nur alles nett und verniedlichend sein“, betont die Autorin und zitiert aus den Gedicht „Vereinswesen“ aus ihrem aktuellen Band (siehe oben rechts).
Ihr Mann fragt stets kritisch nach
Geht nicht viel verloren, wenn man Erfahrungen auf ganz kurze Texte reduziert? Lisa Oesterheld lächelt. „Da bin ich froh, dass mein Mann immer kritisch nachfragt. Er macht mich darauf aufmerksam, wenn meine Ideen und Bilder allzu verstiegen werden.“
Sie erzählt von ihrer Idee, einen Gedichtband „Grüne Fugen“ zu nennen. „Ich dachte: Da ist auch dieses Musikalische drin, die Form der Fuge, und dazu die Farbe Grün. Ich fand die Idee gut.“ Ihr Mann aber sagte nur: „Iiih, ich denke dabei an Schimmel im Bad.“ Und so musste sie neu über einen Titel nachdenken.
Bei Lesungen bekommt Lisa Oesterheld ein gutes Echo
Ob Texte ankommen, das spürt sie am besten bei Lesungen. „Ich erkenne das an den Gesichtern. Entweder Hörer schließen die Augen und werden ruhig. Oder man merkt: Damit können sie jetzt überhaupt nichts anfangen. Das gibt es auch.“
Hören sei wichtig, sagt sie. „Weil vieles Menschen erst über die Ohren richtig ergreifen kann“, manchmal auch ganz anders als erwartet. Wie den alten Mann, der sie nach einer Lesung ansprach. Seine Frau war gerade gestorben. Er fragte nach einem bestimmten Text und sagte: „Ich habe das Gefühl, Sie haben das für mich geschrieben.“ Lisa Oesterheld lächelt: „Er hatte es ganz anders verstanden als ich. Aber es hat ihm geholfen. Und das fand ich toll.“
ZWEI GEDICHTE VON LISA OESTERHELD
Vereinswesen
In der Spur des Menschenfischers
mutieren wir längst zum
Anglerverein. Wir schippern nurmehr in eigenen Gewässern.
Des Abends grillen wir kleine Fische und in der Früh siegt die
Bequemlichkeit über das Glück,
hinauszufahren aufs Meer.
Stünde er heut wieder am Ufer,
wir würden ihn nicht erkennen,
noch vernähmen wir seinen Ruf, der uns drängte, uns umzuwenden.
Wir gingen achtlos vorbei, vertieft
ins Gespräch über unseren Verein.
Geschenk
Es wuchs in uns
ein Schweigen, das
alle Worte umfing. Es
dehnte sich, ging weit
hinaus, berührte
Haus um Haus, die
Anderen, wie den
Baum und Strauch.
War wie ein Meer
aus Wir. Das blieb
und bleibt. Es
atmet Gott.
Aus: Lisa F. Oesterheld: „Hymne ans Leben“, Echter-Verlag, 2019