Die Lyrikerin Lisa Oesterheld schreibt ihrer Freundin, die lange mit ihr engagiert war

Brief an eine Ausgetretene: Du fehlst mir als Verbündete

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Wenn Menschen eine Gemeinschaft verlassen, bewegt das auch diejenigen, die bleiben. So erging es auch der Lyrikerin und Seelsorgerin Lisa Oesterheld aus Vechta, deren Freundin Vera nach vielen engagierten Jahren aus der Kirche ausgetreten ist. Was sie über ihre Entscheidung denkt, was sie ihr mit auf den Weg gibt und was sich dadurch für sie, die bleibt, ändert, schreibt Lisa Oesterheld in einem Brief.

Liebe Vera,

vor mir liegt dein Brief, in dem du mir von deinem Kirchenaustritt schreibst. Danke, für deine persönliche Mitteilung! Auch wenn du ab und an gesagt hast: „Ich weiß nicht, wie lange ich es noch aushalte in der Kirche“, war ich überrascht von deinem Schritt, denn bei dir hätte ich am wenigsten damit gerechnet. Nach dem ersten Lesen war ich betroffen, sodass ich Zeit brauchte zum Antworten.

Noch kann ich mir gar nicht vorstellen, dass du nicht mehr „dabei“ bist. Der Gedanke löst Traurigkeit aus bei mir. Was für ein Verlust ist dein Austritt für unsere Kirche!

Bilder tauchen in mir auf: Ich sehe dich leidenschaftlich engagiert in der Eine-Welt-Arbeit, in der Frauenarbeit beim Gestalten kreativer Liturgien, in der Flüchtlingsinitiative und auch als treue Gottesdienstbesucherin. Du wirst nicht nur durch dein Tun fehlen, sondern durch dein Sein: Eine Frau, die anpackt ohne viel Aufhebens. Dein Gespür für Gerechtigkeit, für die du eingestanden bist, wird fehlen. Deine Liebe zu einer Sprache, die Menschen heute verstehen, haben unsere Pfarrei bereichert.

 

Du bist keine, die schnell aufgibt

 

Du wirst mir persönlich fehlen als Verbündete für eine geschwisterliche Kirche, die nahe an der Seite der Menschen am Rande ist. Gemeinsam konnten wir uns ermutigen, nach Enttäuschungen nicht aufzugeben. Wir konnten uns stärken im Blick aufs Evangelium, das uns immer wieder neu inspiriert hat. Du merkst: Ich spreche schon in der Vergangenheit.

Wenn ich dich jetzt vor Augen habe, ahne ich, was in dir vorgegangen ist, vor dem Austritt. Du bist nicht eine, die schnell aufgibt. Wieviel Enttäuschung, Ärger und Resignation wird dich erfüllt haben darüber, dass sich seit (zu)vielen Jahren zu wenig ändert. Noch immer haben Frauen keinen Zugang zu den Ämtern, werden Übergriffe an Schutzbefohlenen in der Kirche nur schleppend aufgearbeitet, werden überfällige Reformen aufgeschoben. Das kann sehr müde machen!

 

Behalte deinen brennenden Glauben!

 

Je größer der Ärger ist, desto größer ist die Sehnsucht, die darunter verborgen ist: der Wunsch nach einer Gemeinschaft, die glaubwürdig für die Menschen da ist. Wir haben immer geträumt von einer Kirche, welche die Zeichen der Zeit versteht. Nach dem Antritt von Papst Franziskus schöpften wir Hoffnung, dass eine neue Ära anbräche. Doch dann gab es immer wieder Vorgänge, die es selbst im Freundes- und Familienkreis schwer machten, sich als kirchenzugehörig zu zeigen. Ich verstehe deinen Austritt als ein Signal, das auf Fehlendes hinweist.

Auch wenn ich dich in der Kirche vermissen werde, kann ich deinen Schritt annehmen. Ich möchte, dass du dein Lachen behältst und deinen brennenden Glauben an Gott. Vor allem möchte ich, dass es dir gut geht! Ich wünsche dir von Herzen, dass du andere Gefährtinnen und Gefährten finden wirst als Mitglaubende. Gottes Geist wird dich führen! Und die Tür steht immer offen.

 

Trotz allem - warum ich bleibe

 

Ich hoffe, dass wir beide in unserer Suche nach einem Weg in der Nachfolge Jesu im Kontakt bleiben werden! Trotz allem Fehlenden bleibe ich in der Kirche. Ich habe ihr viel zu verdanken. Sie ist für mich wie eine Familie und ein Teil von mir ist.

Gottlob kenne ich in der Kirche auch heute überzeugende Menschen, die etwas von Gottes Liebe aufleuchten lassen. Ich traue der Kraft des Heiligen Geistes, der Neues möglich macht und Erstarrung aufbricht. Vielleicht bringt dein Austritt etwas in Bewegung.

Deine Lisa

Die Autorin
Lisa Oesterheld
Lisa Oesterheld war bis zu ihrem Eintritt in den Ruhestand in der vergangenen Woche als Pastoralreferentin tätig im Bereich Exerzitien und Spiritualität der Seelsorgeabteilung des Offizialats Vechta und als Seelsorgerin im Haus Teresa der St. Hedwig-Stiftung in Vechta.

Zudem investierte sie viel Herzblut in den Aufbau des Bildungs- und Exerzitienhauses „Ökonomie Burg Dinklage“ in Zusammenarbeit mit den Benediktinerinnen der Abtei St. Scholastika. Mehr als elf Jahre hat sie dort zusammen mit ihrem Mann Angebote für Sinnsuchende gemacht. Gleichzeitig kümmerte sie sich in der Leitung der Martinsscheune um Obdachlose und Menschen in Not.

Sie begleitete Menschen auf deren geistlichem Weg, entwickelte neue Formate für geistliche Begleitung und geistliche Vertiefung. In Zusammenarbeit mit anderen norddeutschen Diözesen führte sie Ausbildungskurse für geistliche Begleitung durch.

Einer breiteren Öffentlichkeit ist Lisa Oesterheld durch ihre lyrischen Werke bekannt geworden, in denen sie ihre geistlichen Suchbewegungen in Worte gefasst hat. | pd

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