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Zum heiligen Martin gibt es einige Legenden und viel Brauchtum. Einiges davon überrascht: Warum ist nicht sein Todestag sein Gedenktag? Wie haben die protestantischen Preußen das katholische Martins-Brauchtum verändert? Was hat Martins Mantel mit Kaplänen und Kapellen zu tun? Und warum haben die Franzosen ihren Landsmann Martin fast verdrängt?
Wofür steht der heilige Martin?
Die Not der anderen ging dem römischen Soldaten Martin (316/17-397) über die eigene Karriere, er hatte den Blick für den Nächsten. Ein Christ, der im entscheidenden Moment seines Lebens barmherzig war und „an die Ränder“ ging. Martin steht für Frieden und Solidarität, für mehr Aufmerksamkeit gegenüber Randgruppen. Er ist Patron der Bettler, der Geächteten und der Kriegsdienstverweigerer.
Warum wird der Martinstag am 11. November gefeiert?
Normalerweise ist der Todestag eines Heiligen sein Namenstag im Jahreskalender. Martin starb aber am 8. November während eines Pfarreibesuchs im Örtchen Candes. Damals drängten die Bürger von Tours auf die Herausgabe ihres Bischofs – doch in Candes wollte man ihn behalten. Am Ende entführten die Tourains ihn bei Nacht und treidelten ihn die Loire hinunter. Und überall am Ufer sprossen laut Überlieferung plötzlich weiße Blüten: der „Sommer des heiligen Martin“ mitten im November! Am 11. November fand in Tours die Beisetzung statt.
Wofür steht der Martinstag im Jahreskalender?
Der Martinstag war traditioneller Pacht- und Zahltag am Ende des bäuerlichen Wirtschaftsjahrs. Es wurde geschlachtet; Gänse und frische Wurst waren in Umlauf. Ein Grund, warum Landarbeiter und Kinder um die Häuser zogen, sangen, Segen wünschten und dafür mit Naturalien belohnt wurden. Nach dem Martinstag begann die 40-tägige Fastenzeit vor Weihnachten („Martinsquadragese“). Vorher wurde nochmal ordentlich zugelangt – wie noch heute an den Tagen vor Aschermittwoch. Und das, obwohl Martin selbst ein ausgemachter Asket war.
Wie wird das Schlachten der Martinsgans in der Legende erklärt?
Berichtet wird, die Bürger von Tours wollten den Einsiedler Martin als ihren Bischof haben. Unwillig, sein zurückgezogenes Leben aufzugeben, habe sich Martin im Gänsestall versteckt, sei aber von den schnatternden Gänsen verraten worden. Diesen Verrat müssen sie bis heute bezahlen.
Was haben die protestantischen Preußen mit dem katholischen Martins-Brauchtum zu tun?
Seit jeher wurde der Martinsabend mit Martinsfeuern ausgelassen gefeiert. Entsprechend sorglos agierte die Dorfjugend. Ende des 19. Jahrhunderts wünschten sich die Preußen in ihren Rheinlanden mehr „Zucht und Ordnung“. So kanalisierten sie das Brauchtum des Holens und Sich-Organisierens von Nahrungsmitteln in ein geregeltes Geben und Zuteilen. Ein reitender Martin – eine fromme Autoritätsperson also – ging einem „ordentlichen“ Fackelzug voran. An einem zentralen Feuer – statt vieler kleiner, unbeaufsichtigter – verteilte Martin an alle Kinder Süßigkeiten: einen Weckmann und/oder eine Martinstüte. In einigen Regionen wird aber bis heute auch an den Türen gesungen.
Was ist aus dem halben Mantel geworden?
Als Martin seinen Mantel mit dem Bettler teilte und so Militäreigentum beschädigte, beging er eine Straftat, auch wenn damals nominell die Hälfte der Kleidung dem römischen Staat und die andere dem Soldaten selbst gehörte. Heute gilt der halbe Mantel als ein Zeichen christlicher Barmherzigkeit. Im Mittelalter wurde er von den Frankenkönigen als Glücksbringer mit in die Schlacht geführt.
Im spätantiken Latein hieß der mantelartige Umhang „cappa“. Die angebliche Cappa des heiligen Martin war eine der bedeutendsten Reliquien des Reiches. Zu seiner Bewachung wurden eigens Geistliche abgestellt, sogenannte Kapellane. Sie betreuten auch die jeweilige „Kapelle“; also jene Gotteshäuser, in denen die Cappa aufbewahrt wurde. Bis heute ist ein „Kaplan“ ein Geistlicher für besondere Aufgaben und die „Kapelle“ ein Gotteshaus ohne unmittelbare Zuweisung für die Pfarrseelsorge. Oder aber eine Gruppe von Musikanten, die ursprünglich wohl für die liturgische Gestaltung von Gottesdiensten an der „Cappa“ zuständig waren.
Warum ist in Frankreich das Martinsbrauchtum fast völlig vergessen?
In Frankreich, wo Martin als Bischof wirkte, kennt kaum jemand mehr seine Legenden. Ein Grund ist, dass der fromme Oberkommandierende der Westalliierten im Ersten Weltkrieg, Marschall Ferdinand Foch, das Datum der deutschen Kapitulation auf den 11. November 1918 legte. Für das Bewusstsein um den heiligen Martin war das ungewollt ein Bärendienst. Denn heute ist der 11. November in Frankreich zwar ein Feiertag – aber als staatlicher „Tag des Waffenstillstands“, an dem der Gefallenen gedacht wird, nicht des Bischofs.