Kirche+Leben-Experten-Gespräch zum Weltwassertag 2024

So befeuert unser Konsum die Wasserknappheit in fernen Ländern

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Ausgetrocknete Seen in Afrika oder Lateinamerika, Flutkatastrophen in Bangladesch oder im Ahrtal – Wasser ist die Grundlage allen Lebens, kann aber auch für Zerstörungen sorgen. Der Weltwassertag 2024 am 22. März will auf die Bedeutung von Wasser hinweisen und steht unter dem Motto „Wasser für Frieden“. Misereor-Expertin Jutta Himmelbach macht im Kirche+Leben-Gespräch deutlich, warum die Situation in Teilen Afrikas so dramatisch ist und wie das mit unserem Konsum zusammenhängt.

Das Recht auf sauberes Wasser ist ein Menschenrecht. Doch noch immer haben 2,2 Milliarden Menschen keinen Zugang zu sicherem Trinkwasser. Inwiefern sehen Sie dennoch Fortschritte auf globaler Ebene?

Meines Erachtens hat sich die Wahrnehmung und Haltung zur Wasserversorgung geändert, seitdem 2010 von vielen Staaten das Recht auf sauberes Wasser und Sanitärversorgung ratifiziert wurde: Das vermeintlich triviale Adjektiv „sauber“ hat eine enorme Wirkung entfaltet, denn nun ist klar, welche Wasserqualität die Menschen benötigen. Deshalb würde unaufbereitetes Flusswasser heute zum Beispiel nicht mehr als sichere Versorgungsquelle zählen. Das Recht auf sauberes Wasser ist nur dort rechtlich bindend, wo es in nationales Recht überführt wurde. Trotzdem ist bei den zuständigen Behörden in den Projektgebieten ein wachsendes Gefühl von Verantwortung und Begleitkompetenz für die Umsetzung von Wasserprojekten bemerkbar. Die fachliche Auseinandersetzung um sichere Strategien der Wasserversorgung und Wasserhaushaltsmanagement findet zunehmend auch im ökologischen und sozialen Kontext statt. Dennoch fehlen vielen Staaten und Behörden die notwendigen finanziellen und personellen Mittel, um die Infrastruktur der Wasserversorgung aufbauen und betreiben zu können. Darüber hinaus kann und wird Wasserversorgung immer noch als politisches Mittel eingesetzt.

Was fordern Sie von der internationalen Gemeinschaft in Bezug auf die Wasserversorgung für die nächsten Jahre? Welche Maßnahmen müssen ergriffen werden?

Durch den fortschreitenden Klimawandel werden Wasserhaushaltsmanagement und der Schutz der Wasservorkommen immer wichtiger – auch bei uns. Die Menschheit betrachtet Wasser derzeit noch sehr stark als Ressource, die für den menschlichen Bedarf zur Verfügung steht. Darüber hinaus brauchen aber auch Ökosysteme, die Natur und alle anderen Lebewesen Wasser. Um die Ernährungssicherung auch in längeren Dürrephasen und über größere Flächen sicherzustellen, wird vielerorts über Bewässerungsstrategien und Sumpftrockenlegung nachgedacht. Jedoch ist Bewässerung nicht immer das beste Mittel für dieses Problem, denn auch die Grundwasservorkommen sind endlich und müssen sich vermehrt erholen. Intensive Bewässerung führt dazu, dass der Grundwasserspiegel dramatisch sinkt und die Böden versalzen. Es braucht also andere Anbautechniken für einen angepassten, nachhaltigen Umgang mit Wasser. Meines Erachtens sollte der nachhaltige Umgang mit der umgebenden Natur stärker in den fachlichen Blickpunkt gestellt werden. Nicht alles, was wirtschaftlich ist, ist gut für die menschliche Entwicklung.

In welchen Ländern ist im Moment aus Ihrer Sicht die Wasserknappheit am höchsten?

Wasserknappheit muss nicht unbedingt das Problem sein. In finanzstarken Ländern mit wenig Wasser kann man durch hohe Investitionen trotzdem eine Versorgungssicherheit erreichen. Daher ist es wichtig zu schauen, in welchen Ländern die Auswirkungen der Wasserknappheit weitreichende Folgen für das Leben der Menschen hat. So scheint mir die Wassersituation in den Sahel-Ländern, die ich zuletzt bereist habe, dramatisch zu sein: Durch den Klimawandel wechseln sich dort Dürren und Flutkatastrophen ab. Die Menschen sind dadurch sehr stark in ihrem gesellschaftlichen Leben und wirtschaftlichen Handeln eingeschränkt und ständig gefährdet. Entweder zerstören Überschwemmungen den Besitz und führen zur Ausbreitung von Krankheiten. Oder die Menschen, vor allem die Frauen, müssen stundenlang zur nächsten Wasserquelle laufen, um die Familie mit Wasser zu versorgen. Viele Frauen berichten mir, dass sie dafür oftmals ganze Tage unterwegs sind – schwer beladen mit dem Wasser in der Hitze. Das ist harte körperliche Arbeit, die zu Erkrankungen und Schwangerschaftsverlusten führen kann. Die Wasserknappheit lässt in solchen Situationen Konflikte entstehen oder Gewalt eskalieren. Denn es geht um die Existenz, um das Überleben.

Welche Projekte zur Sicherung des Trinkwassers führt Misereor aktuell durch? Wo legen Sie die Schwerpunkte?

Die Misereor-Projektpartner sind vorwiegend im ländlichen Raum aktiv, da dieser am stärksten marginalisiert wird. Dort fördert Misereor unterschiedlichste Maßnahmen der Wasserversorgung: die generelle Wasserbereitstellung und Wasseraufbereitung, Brunnen aller Art, Regenwassermanagement, Quellfassungen und Verteilersysteme. Die technischen Lösungen müssen an den Bedarf angepasst sein und von der Bevölkerung selbst verwaltet werden können. Sie müssen langlebig und möglichst ökologisch nachhaltig sein. Aber der wahre Fokus unserer Arbeit liegt nicht auf den technischen Fragen, sondern auf den Methoden, Ansätzen und Wirkungsebenen. Misereor fördert Wasserprojekte zur Verbesserung der Gesundheitssituation, um Zugang zu Bildung zu ermöglichen und um das Einkommen der Haushalte zu verbessern. So können die Menschen ein hohes Maß an Eigeninitiative aufbauen und gesellschaftlichen Wandel anstoßen. Dabei stehen die Menschen und das Gemeinwohl im Mittelpunkt. Bei Misereor liegt ein Schwerpunkt der Wasserversorgung bei der Friedensförderung: Ziel ist es, Menschen im gemeinsamen Ringen um die Wasserversorgung zusammenzubringen, friedlich Konflikte zu lösen, Beziehungen aufzubauen, Sicherheit im Alltag und Frieden zu sichern.

Für Menschen in Deutschland spielt Wasserknappheit, zum Beispiel in den Hitzesommern, immer öfter eine Rolle. Welche Tipps haben Sie, um Wasser zu sparen?

Auf Haushaltsebene haben wir in Deutschland seit Jahren einen sehr ausgeglichenen direkten Wasserverbrauch, der bei circa 125 Litern pro Einwohner und Tag liegt. Das ist das Wasser, das wir zuhause beispielsweise für die Körperhygiene, Kochen, Trinken, Spülen und Putzen verbrauchen. Das ist ein angemessener Verbrauch. Zudem sind unsere Systeme der Wasserversorgung und -entsorgung so ausgelegt, dass Wassereinsparungen in vielen Städten auf Haushaltsebene nicht sinnvoll sind. Meines Erachtens macht Sparen eher dort Sinn, wo unser individueller Wasserverbrauch sehr viel höher liegt – beim Konsum. Hier kann man sich unter dem Stichwort „virtuelles Wasser“ darüber informieren, wie viel Wasser bei der Produktion, dem Transport und Handel eines Produkts entsteht. So hat ein Liter Obstsaft einen bedeutend höheren Wasserverbrauch durch Bewässerung, Verarbeitung, Lagerung etc. als dieser Liter vermuten ließe. Und hier lautet die kritische Frage: Woher kommt das Wasser, das in diesem Produkt steckt? Was bedeutet mein Konsum für die Anbauregion? Wie leben die Menschen dort neben den Anbau- und Produktionsorten? Haben auch sie Zugang zu ausreichend Wasser?

Mehr Informationen zu „virtuellem Wasser“ und dem Wasser-Fußabdruck sind abrufbar bei planet-wissen.de.

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