Maria Wagner über rassistische Strukturen in Kirche

Theologin: Zeit in Deutschland ist reif für schwarzen Bischof

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In der Kirche in Deutschland ist die Zeit für einen schwarzen Bischof reif. Dafür müssten rassistische Strukturen und Denkmuster in der katholischen Kirche überwunden werden, sagt Theologin Marita Wagner.

Die Theologin und Rassismusforscherin Marita Wagner sieht die Zeit der Kirche in Deutschland reif für einen ersten schwarzen Diözesan- oder Weihbischof. Menschen verschiedenster Biografien und sozialer Herkünfte müssten kirchliches Zusammenleben kreativ mitgestalten und Entscheidungsprozesse gleichberechtigt mitverantworten, fordert Wagner im Interview des Portals katholisch.de (Dienstag). „Das bedeutet unter anderem, Priester, etwa aus Nigeria oder Indien, nicht nur auf eine funktionale Rolle als Sakramentenspender zu reduzieren und mit ihrer Hilfe die personellen Lücken aufgrund des Priestermangels zu füllen“, so die Theologin.

In der katholischen Kirche gebe es weiterhin rassistische Strukturen und Denkmuster, die eine gleichberechtigte Teilhabe aller Gläubigen behinderten, analysiert die Forscherin. Die deutsche Gesellschaft werde zunehmend divers; schon heute hätten 40 Prozent aller Kinder unter fünf Jahren eine Migrationsbiografie, so Wagner. Die Vorstellung einer weißen „biodeutschen Gesellschaft“ sei also ein Mythos.

Kirche kann von „People of Color“ lernen

Allerdings sehe sie in Gottesdiensten und vor allem in akademischen theologischen Veranstaltungen oft eine homogene, weiß sozialisierte Gemeinschaft und frage sich, wo die übrigen Menschen seien, so Wagner. Anscheinend fehle es vielen an Vertrauen, innerhalb der Kirche Anschluss zu suchen. Unter anderem brauche es rassismuskritische pastorale und seelsorgerische Angebote. Es müsse gelingen, Menschen mit anderen Lebenswirklichkeiten, Perspektiven, Talenten, Sorgen und Hoffnungen anzusprechen, damit eine vertrauensvolle Gemeinschaft entstehen könne.

Die Kirche in Deutschland könne viel von „People of Color“ lernen, zeigt sich Wagner überzeugt. Diese hätten aufgrund ihrer Erfahrungen von Marginalisierung und Diskriminierung „ein sehr ausgeprägtes Bewusstsein für ausgrenzende Strukturen“. Sie hätten oft gelernt, „in einer Welt zu überleben, die ihnen oft ein gleichwertiges Menschsein abspricht“. Sie hätten also interkulturelles Wissen und einen multiperspektivischen Blick erworben, was wichtige Chancen für das Zusammenleben in einer diversen Gesellschaft und Kirchengemeinschaft berge.

Eigenes rassistisches Denken ablegen

Die Theologin plädiert dafür, „Weiß-Sein“ in der Kirche nicht mehr mit „Herrschersein“ oder „Reinheit“ gleichzusetzen. Stattdessen solle man lernen, „Kirche durch die Augen widerstandsfähiger Menschen zu sehen, die aktiv für Veränderungen und ein Leben für alle Menschen in Würde kämpfen“.

Hierfür sei es wichtig, sich als weiß sozialisierte Menschen mit dem eigenen rassistischen Denken auseinanderzusetzen, betont Wagner. Dabei gehe es nicht um einen „bewusst intendierten Rassismus rechtskonservativer Menschen und Gruppierungen“, sondern um ein „oft unbewusst rassistisch-stereotypes Denken, in das wir von Kindesalter an hineinsozialisiert werden“. Auch müssten die Perspektiven des globalen Südens bewusster in der deutschsprachigen Theologie aufgegriffen werden, etwa im Religionsunterricht in Schulen und in den theologischen Fakultäten.

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