Hendrik Wenning fordert radikale Veränderungen

Zur Lage der Kirche: Es ist Zeit, die Knoten durchzuschlagen

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Die Lage der katholischen Kirche in Deutschland ist dramatisch. Besserung scheint nur in Sicht, wenn radikale Veränderungen vorgenommen werden, sagt Pfarrer Hendrik Wenning in seinem Gast-Kommentar.

„Die Probleme sind bekannt, wir wollen Lösungen“, so mag manch einer angesichts der Lage unserer Kirche denken. Reformprozesse, strukturelle Neugliederungen, Mitgliedermagazine und Vierjahrespläne halten den Trend nicht auf. Vielmehr ermüden diese Versuche durch ihre spürbare Hilf- oder Ziellosigkeit. Unsere Kirche hat sich heillos verwickelt und kann sich nicht befreien. Mir scheint diese Verstrickung nur lösbar, indem wie einst der gordische Knoten zerschlagen wird.

Ein erster Hieb sollte der finanziellen Verstrickung der Kirche gelten. Kirchensteuer und Staatsleistungen haben ihre Akzeptanz verloren. Nehmen wir uns zehn bis zwölf Jahre, schaffen die Kirchensteuer ab und erklären uns mit der Beendigung der Staatsleistungen einverstanden. Ein zweiter Hieb sollte dem Missbrauch und der Vertuschung gelten. Seit 2010 versuchen wir diese himmelschreienden Verbrechen ans Tageslicht zu zerren, aber der öffentliche Eindruck ist ein anderer. Allein der Staat kann diese Verbrechen glaubhaft aufklären. Er soll es endlich tun!

Die Volkskirche ist Geschichte

Der Autor
Hendrik Wenning, 44, ist Leitender Pfarrer der Gemeinde St. Pankratius und St. Marien in Gescher.

Ein dritter Hieb sollte der Verbürgerlichung und Verweltlichung der Seelsorger gelten. Männer und Frauen des Gebetes, die einfach leben, dem Bischof und der Kirche verbunden sind und ein hörendes Herz für die Suchenden und Benachteiligten haben, können glaubhafte Zeugen der Frohen Botschaft sein. 

Ein vierter Hieb sollte der religiösen Vereinnahmung gelten. Die Welt mag Gottes voll sein, aber dennoch entspringt nicht jede Sozialleistung christlicher Nächstenliebe, und nicht jede transzendente Gedankenregung ist ein christliches Gebet. Unsere Gesellschaft ist bunter geworden; die Volkskirche ist Geschichte.

Arm, ehrlich, demütig und entschieden

Wer das akzeptiert, kann sich dem Aufbau neuer Gemeinden und Gemeinschaften zuwenden, die alltäglich, spürbar nach dem Evangelium Jesu Christi leben. Eine solchermaßen arme, ehrliche, demütige und entschiedene Kirche ist ihrer Privilegien entledigt, verliert institutionellen Einfluss und muss sich von vielen Einrichtungen, Immobilien und Mitarbeitern trennen.

Nichts davon ist schön, aber die vorsichtigen Versuche, im bestehenden System Vertuschung, Verweltlichung und finanzielle Verstrickung zurückzudrängen, scheitern leider immer wieder. Wenn es auch weh tut, aber es ist Zeit, die Knoten durchzuschlagen.

In unseren Gast-Kommentaren schildern die Autor:innen ihre persönliche Meinung zu einem selbst gewählten Thema. Sie sind Teil der Kultur von Meinungsvielfalt in unserem Medium und ein Beitrag zu einer Kirche, deren Anliegen es ist, die Zeichen der Zeit zu erkennen. 

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