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Vor 800 Jahren war Europa im Kathedralenfieber. Jeder Bischof, der etwas auf sich hielt, wollte mit seiner gotischen Kirche alle anderen ausstechen. Drei der schönsten und größten wurden 1220 begründet.
Kaum ist der Burj Khalifa in Dubai mit 828 Metern Höhe als höchstes Gebäude der Welt fertiggestellt, da sind schon die nächsten Rekordjäger auf dem Weg in den Himmel: der Dubai Creek Tower mit 928 Metern soll noch 2020 fertig werden, der Jeddah Tower mit 1.007 Metern im saudischen Dschidda dann 2021. Vor acht Jahrhunderten lief auch schon dieses Spiel. Der Unterschied: 1220 war Europa noch im Kathedralenfieber. Wer als Bischof etwas auf sich hielt, wollte mit seinem Kirchbau im gefeierten gotischen Stil alle bereits bestehenden ausstechen. Für drei der schönsten und größten Kathedralen wurde 1220 der Grundstein gelegt: in Amiens, Metz und Salisbury.
In der alten Römerstadt Amiens, wo der heilige Martin im Winter 338/339 seinen Mantel mit einem Bettler geteilt haben soll, waren alle Vorgängerbauten durch Brände zerstört worden. Der Neubau sollte alle Rivalen aus dem Feld schlagen, etwa in Reims, Bourges, Chartres oder Paris.
Amiens – Vorbild auch für den Kölner Dom
„200 Prozent von Notre-Dame Paris“, so lautet ein Superlativ, um die Größe des Kirchenbaus an der Somme zu beschreiben. Er bezieht sich auf sein Volumen von rund 200.000 Kubikmetern, den sogenannten umbauten Raum. Die Grundfläche beträgt 7.700 Quadratmeter, die Außenlänge 145 und die Innenlänge 133,50 Meter bei einer Höhe von 42,30 Metern.
Vorübergehend war die Kathedrale von Amiens damit der höchste Kirchenraum der Welt.
Nach nur knapp 50 Jahren wurde 1269 der Innenraum vollendet. Der Außenbau dauerte noch bis 1285/88; Hauptfassade und Türme wurden erst im 14./15. Jahrhundert fertiggestellt. Architekturhistorisch gilt Notre-Dame in Amiens neben Chartres und Reims als eine der drei klassischen, stilbildenden Kathedralen der französischen Hochgotik des 13. Jahrhunderts. Sie diente auch als Vorbild für den 1248 begonnenen Kölner Dom.
Metz – die „Laterne Gottes“
Nicht durch schiere Größe besticht die Stephans-Kathedrale von Metz, sondern durch riesige 6.500 Quadratmeter Fensterfläche. „Laterne Gottes“ wird sie deshalb genannt und „Edelstein Lothringens“. Die Bischofskirche von Metz hat nicht nur ein 42 Meter hohes Gewölbe - wie Amiens eines der höchsten des gotischen Kirchbaus überhaupt; sondern auch eine der größten Kirchenfensterflächen der Welt. Zum Vergleich: Das gotische „Glas-Universum“ von Chartres hat „nur“ 2.500 Quadratmeter. Die Fenster des Lang- und Querhauses wurden zwischen dem 13. und dem 20. Jahrhundert von bedeutenden Künstlern gestaltet. Der berühmteste von ihnen war Marc Chagall (1887-1985).
Die Baugeschichte der Stephanskirche ist alles andere als geradlinig verlaufen. Das erste Gotteshaus hier war ein Oratorium zu Ehren des heiligen Stephanus; es blieb bei der Zerstörung der Stadt durch Hunnenkönig Attila 451 wie durch ein Wunder verschont. Im frühen Mittelalter entstanden hier in unmittelbarer Nachbarschaft die Bischofskirche und ein Marienstift.
Ein Pakt mit dem Teufel
1220 ermächtigte Papst Honorius III. Bischof Konrad von Scharfenberg, zehn Jahre lang Spenden für eine neue, große, gotische Kathedrale zu sammeln, die „hohe Ausgaben“ erforderten. Doch das Domkapitel stieß an den Toren des Stifts auf Granit: Dessen Geistliche waren überhaupt nicht willig, ihr Territorium abzugeben. Erst im 14. Jahrhundert wuchsen die beiden Kirchen unter einem Dach zusammen.
Das warf neue Probleme statischer Art auf, für deren Behebung sich Architekt Pierre Perrat angeblich sogar mit dem Teufel einließ; eine Legende, wie sie zu mittelalterlichen Gebäuden ab einer gewissen Größenordnung einfach dazugehört. Erst 1520 waren die Bauarbeiten abgeschlossen - nach 300 Jahren. Die Weihe erfolgte 1552.
Salisbury – Kathedrale auf der grünen Wiese
Ganz anders im südenglischen Salisbury, wo am 28. April 1220 der Grundstein gelegt wurde: Die Bischofskirche entstand sozusagen auf der grünen Wiese und musste keinerlei bauliche Rücksichten nehmen. Deshalb und wegen der großen finanziellen Unterstützung durch König Heinrich III. wurde sie binnen 40 Jahren gleichsam aus dem Boden gestampft und erscheint stilistisch aus einem Guss. Der im frühen 14. Jahrhundert ergänzte Vierungsturm ist heute mit 123 Metern der höchste Kirchturm Großbritanniens.
König Heinrich III. nahm 1258 persönlich an der Weihe teil. 1265 war die Westfassade fertiggestellt; anschließend wurde der Kreuzgang in Angriff genommen und um 1310 vollendet. Ihre architektonische Geschlossenheit macht die Kathedrale von Salisbury zu einer der schönsten der europäischen Gotik. Die Landschaftsmaler John Constable (1776-1837) und William Turner (1775-1851) wetteiferten darum, das Ensemble möglichst dramatisch einzufangen.