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Das dunkelste Kapitel der jüngeren Kirchengeschichte steht am Mittwoch, 30. Oktober, im Mittelpunkt einer Veranstaltung in der katholischen Akademie Franz Hitze Haus in Münster. Unter dem Titel „Die Wunde, die nicht heilen kann“ unternimmt der Düsseldorfer Psychoanalytiker und Theologe Dr. Dieter Funke eine Psycho-Analyse des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche. Die Veranstaltung findet von 18.30 Uhr bis 21 Uhr statt. Die Teilnahme kostet acht Euro, ermäßigt vier Euro.
Der Titel der Veranstaltung kommt nicht von ungefähr: Funke hat ein gleichlautendes Buch geschrieben. Darin untersucht er die Missbrauchsfälle in der Kirche aus psychoanalytischer Sicht. „Die Psychoanalyse sucht das zu erkunden, was unserem bewussten Denken und Wahrnehmen vorausliegt“, erklärt er, „wir sprechen vom Unbewussten, das oft querliegt zum ,gesunden Menschenverstand‘. Diese Unbewusste enthält viele verdrängte Wünsche und offenbart eine verborgene Wahrheit, wenn wir es zu entschlüsseln versuchen.“ Besonders in den Lebensformen, aber auch in den Symbolen, Ritualen und Idealen der Kirche zeige sich diese unbewusste Seite, die zu erkennen oft unangenehm sei, weil sie der offiziellen Lesart zuwiderlaufe.
Wie Missbrauchs-Täter denken
Der Düsseldorfer Psychoanalytiker und Theologe Dr. Dieter Funke ist am 30. Oktober zu Gast im Franz Hitze Haus in Münster. | Foto: pbm
Angesichts der Täterprofile und der inneren Bilder, die diese Profile prägen, sei es aber notwendig, sich den verdrängten Aspekten zuzuwenden. Funke verdeutlicht das am Beispiel des Bildes der „Heiligen Familie“ mit Jesus, Maria und Josef: „Josef wird symbolisch aus seiner Position als Vater vertrieben, indem er nur als Pflegevater vorkommt. Die Mutter ist Jungfrau und keine sexuelle Frau; und der Sohn wird an die Stelle des Vaters gesetzt.“ Vor allem aber werde das Frauenbild gespalten: „Die Frau, Jungfrau Maria wird als asexuelles Wesen, als Heilige, idealisiert, während die sexuelle Frau entwertet wird“, sagt Funke. Wie dieses Beziehungsmodell und das darin enthaltene Frauenbild die psychische Entwicklung der Täter beeinflussen, möchte er in seinem Vortrag darstellen.
Denn aus der psychoanalytischen Betrachtung ergeben sich nach Ansicht des Experten wichtige Erkenntnisse: „Das gestörte und entsexualisierte Beziehungsmodell begünstigt die Ausbildung von Persönlichkeiten, für die der Verzicht auf Sexualität eine hohe narzisstische und soziale Aufwertung bereithält“, sagt er, „so werden die Kleriker, die Christus repräsentieren, idealisiert, was wiederum zu einem gewissen Tunnelblick bei ihnen führt.“ Aus Funkes Erfahrung zeigen die Täterprofile aus dem kirchlichen Bereich, dass die Täter sich „mächtig und erhaben über die normalen menschlichen Bedürfnisse wähnen.“ Mit dem inneren Gewinn, den ihre herausgehobene Stellung bereitet, kompensierten sie den durch das Klerikerideal erzwungenen Verzicht auf Sexualität. Dies führe oft zu einer Überschätzung ihrer Person. „Sie behandeln ihre Opfer so, als wären sie Teil von ihnen, und glauben, dass ihnen das aufgrund ihrer Position zusteht“, sagt Funke.
Was Betroffenen hilft
Aus der psychoanalytischen Sichtweise lassen sich seiner Meinung nach auch Strategien ableiten, um sexuellen Missbrauch künftig zu verhindern: „Aus der Therapie der Opfer wissen wir, dass es diese am meisten heilt, wenn sich die Täter und damit auch die Kirche als Ganze durch Selbsteinsicht mit dem kollektiv Verdrängten und den eigenen blinden Flecken und Schattenseiten auseinandersetzen.“ Die Auseinandersetzung der Täter mit sich selbst und ihren verborgenen Motiven sei eine Art Wiedergutmachung an den Opfern, weil diese sich in ihrem Leiden anerkannt und verstanden fühlen. „Diese Wiedergutmachung durch Selbsteinsicht und den daraus resultierenden Veränderungen im Verständnis des Glaubens ist oft wichtiger als die rein materielle Entschädigung, die natürlich dadurch nicht ersetzt werden kann und darf“, sagt Funke.
Zugleich warnt er vor hektischem Aktionismus: „Dadurch geschieht keine Veränderung, auch nicht durch den Anspruch, es jetzt ganz und gar richtig machen zu wollen. Das führt zu neuer Rigidität, die ja gerade einer der Hintergründe für die sexuelle Gewalt ist.“