Impuls zum 4. Advent

Ankunft - oder das Warten auf Jesus Christus

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Warten sei der Advent, heißt es. Das stimmt. Vor allem aber ist der Advent dies: Ankunft. Doch wer weiß, wann er kommt? Und was, wenn es so weit ist?

Die Gebrüder Auguste und Louis Lumière schufen 1895/96 ein einzigartiges Filmdokument. Als Motiv nahmen sie ein Allerweltsvorkommnis: „Die Ankunft eines Zuges auf dem Bahnhof in La Ciotat“. Die Hafen- und Industriestadt La Ciotat liegt etwa 30 km östlich von Marseille. Der lediglich eine Minute dauernde Stummfilm zeigt, wie eine Dampflokomotive samt Wagen am helllichten Tag in den Bahnhof La Ciotat einfährt, Fahrgäste mitsamt Gepäck aussteigen und neue Fahrgäste, die auf dem Bahnsteig gewartet haben, einsteigen.

Das Alltagsgeschehen eines ankommenden Zuges löste bei den Zuschauern in einem Pariser Café, die sicherlich alle schon einmal die Ankunft eines Zuges beobachtet hatten, dennoch der Legende nach eine Panik aus. In der Annahme, dass der Dampfzug direkt in das Café einfahren würde, verließen sie fluchtartig die Örtlichkeit.

„Kathedralen der Moderne“ als Schauplätze von Schicksalen

Wenn es nicht die Furcht vor einem tatsächlichen Zug war, nimmt man an, dass der Schrecken angesichts eines offensichtlich irrealen und zugleich doch erstaunlich realistischen Abbilds die Flucht auslöste. So beeindruckend wirkte die Ankunft eines Zuges vor der vorvorigen Jahrhundertwende. Ansonsten war sie ein alltägliches Vorkommnis: Menschen reisten mit einem Zug an, andere sahen ihnen entgegen am Bahnsteig ihres Zielbahnhofs, in freudiger oder banger Erwartung.

Einer der traurigsten Filmklassiker „Brief Encounter“ (zu Deutsch „Begegnung“) von 1945 spielt auf einem Bahnhof als Ort der magischen Übergänge, der Spannung zwischen Wiedersehen und endgültigem Abschied. Die „Kathedralen der Moderne“ sind eben Schauplätze von kleinen und großen Schicksalen, beglückenden Begegnungen, häufig Stätten des Elends, Ausgangspunkte, Warteräume und Endstationen.

Jesus Christus kommt unangemeldet, aber er kommt

Von dem Lyriker, Puppenspieler und Pädagogen Rudolf Otto Wiemer stammen die Verse: „Holt den Sohn vom Bahnhof ab, er kommt. Man weiß nicht genau, mit welchem Zug, aber die Ankunft ist gemeldet. Es wäre gut, wenn jemand dort auf und ab ginge. Sonst verpassen wir ihn. Denn er kommt nur einmal.“

In diesem Adventsgedicht greift er auf Eisenbahn-Motive zurück und versetzt das Ereignis in die Moderne auf einen Bahnhof. Doch nicht einmal in welchem Zug der „Sohn“, gemeint ist Jesus Christus, sitzen wird, ist klar. Somit kann sich seine Ankunft noch hinziehen. Er kommt unangemeldet. Es gibt keinerlei genaue Angaben über Ankunftszeit, Zug- und Wagennummer. Es ist sicher, er kommt, nur wann? Er kommt übrigens nicht nur im Advent. Er fährt das ganze Jahr durch die Gegend und sucht seit undenkbar langer Zeit die Menschen auf. Wer ihn nicht erwartet, wird die einmalige Gelegenheit verpassen. Welch angenehmes Gefühl ist es, wenn jemand auf einen wartet, wenn sich jemand aufmacht, um einen abzuholen, willkommen zu heißen und nach Hause mitzunehmen. Ganz anders, als allein auf dem Bahnsteig zu stehen und dann seinen einsamen Weg zu machen.

Doch Jesus wurde immer wieder ausgeschlossen

Jede Begegnung ist eine unwiederbringliche Chance mit eigenen Kommunikationsmöglichkeiten. Jesus musste immer wieder die Erfahrung machen, nicht akzeptiert zu werden, unbeachtet und außen vor zu bleiben: „Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf“ (Joh 1,11). Ihm erging es wie so vielen Menschen auf dieser Welt mit ihren bitteren Erfahrungen, einfach nicht dazuzugehören, unverstanden, fremd, ausgeschlossen und alleingelassen zu sein. Die das Empfinden fehlender Wertschätzung haben: „Annahme verweigert“. Am drastischsten wird es auf typisch Wienerisch formuliert: „Den ignoriern mer net amol!“

Beim Evangelisten Johannes lesen wir die gute Nachricht „Jesus kommt!“, er will nach Hause kommen, zu den Seinen. Auf dem Fuß folgt jedoch die schlechte Nachricht „Die Menschen wollen ihn nicht, sie erkennen ihn nicht.“ Die meisten ziehen ihre Dunkelheit seinem Licht vor.

Jesus scheint eine ungeheure Zumutung zu sein

Hier entfaltet sich die wohl größte Tragödie der Menschheitsgeschichte, das Verpassen einer großen Chance: „Die Welt hat ihn nicht anerkannt.“ Dabei war er 33 Jahre lang einer von dieser Welt, mittendrin bei den Seinen, die ihn schließlich umbrachten. Es scheint nach wie vor, für den Menschen eine ungeheure Zumutung zu sein, Gott bei sich ankommen zu lassen, der uns in vielfältiger Gestalt begegnen will.

Wer möchte ihm begegnen in den Sakramenten, in den Mitglaubenden und in den „Geringsten“, wie Jesus sie nannte (Mt 25), die Armut, Entblößung, Hunger, Fremdheit, Angst, Heimatlosigkeit und Verfolgung erdulden müssen.

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