Kaplan Christian Olding über einen Jesus, der sich angeekelt fühlt

Auslegung der Lesungen vom 31. Sonntag im Jahreskreis (A)

Nichts scheint schlimmer für Jesus, als wenn er heuchlerischen Geistlichen begegnet. Christian Olding, Kaplan in Geldern, schreibt in seiner Auslegung der Lesungen dieses Sonntags, wie das für ihn als Priester klingt. Aber wohl nicht nur für Priester.

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Nichts scheint schlimmer für Jesus, als wenn er heuchlerischen Geistlichen begegnet. Christian Olding, Kaplan in Geldern, schreibt in seiner Auslegung der Lesungen dieses Sonntags, wie das für ihn als Priester klingt. Aber wohl nicht nur für Priester.

„Ich kenne die Weise, ich kenne den Text, ich kenn' auch die Herren Verfasser; ich weiß, sie tranken heimlich Wein und predigten öffentlich Wasser.“ So spottete Heinrich Heine (1797-1856) mit scharfer Zunge gegen die Kirche. Er besaß Talent, diejenigen vorzuführen, die am Elend und Unglück seiner Zeit Schuld hatten. Das schloss die Kirche samt ihren Amtsträgern ein. Deshalb wandte er ihr den Rücken zu. Auch wenn er gegen Ende seines Lebens den Glauben an Gott wiederfand, seine Beerdigung wollte er ohne Priester.

Wohl keiner klatscht für Kritik an der eigenen Person impulsiv Beifall, vor allem nicht, wenn sie so hart um die Ecke kommt. Jesu Ansage ist nicht minder hart, aber kein derartiger Rundumschlag. Schließlich sind es Pharisäer und Schriftgelehrte, die sich mühen, das Wort Gottes den Menschen in Städten und Dörfern nahe zu bringen. Diese Lehrautorität spricht ihnen Jesus auch nicht ab. Ganz im Gegenteil: „Tut und befolgt alles, was sie euch sagen.“ Nie hätte Jesus die Menschen dazu aufgefordert, sich der Verkündigung in den Synagogen zu entziehen.

 

Heiliger Schein

 

Aber! Angeekelt fühlte sich Jesus von der geheuchelten Frömmigkeit. Sehr schnell wird klar, dass dieser Spiegel, den Jesus vorhält, auch heute noch äußerst aktuell ist. Natürlich fühle ich mich gerade als Priester unangenehm ertappt. Denn auch ich muss mir immer wieder schmerzlich eingestehen, dass ich mit meinem Leben oft hinter der Botschaft zurückbleibe, die ich verkündige. Das ist nicht schön. Das tut weh.

Das Gefährliche an religiösen Werken ist ihr heiliger Schein. Die gute Tat ist nämlich wertlos, wenn sie für den Beifall der Massen und nicht aus der Beziehung zu Gott getan wird. Ein solches Handeln ist nicht ehrlich. Es ist verlogen.

 

Der Ehrenplatz für den Priester

 

Die Beispiele, die Jesus anführt, sind leider sehr pragmatisch. Da gibt es wenig zu deuteln. Zum Beispiel, wenn es um den Ehrenplatz geht. Versuchen Sie mal als Priester, auf eine offizielle Veranstaltung in Ihrer Gemeinde zu gehen und nicht automatisch einen Sonderplatz zugewiesen zu bekommen. Jeder muss sich für Veranstaltungen in die Schlange stellen und ein Ticket organisieren. Als Priester müssen Sie sich in Ihrer Pfarrei nur selten darum mühen. Der Blick in die Medien ist nicht weniger ernüchternd. Bei offiziellen Veranstaltungen sitzen die kirchlichen Würdenträger häufig, wenn nicht sogar immer in der ersten Reihe. Ob Jesus da auch zu finden gewesen wäre?

„Sie machen ihre Gebetsriemen breit und die Quasten an ihren Gewändern lang“ (Mt 23,5) Muss unsere klerikale Dienstkleidung, muss ein Bischof und Kardinal schon aus der Ferne zu erkennen sein?

 

Lebe ich das, wovon ich rede?

 

Der Autor
Christian OldingChristian Olding ist Kaplan in St. maria Magdalena Geldern. | Foto: Andrea Faure

Lebe ich das, was ich lehre und wovon ich rede? „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ Dann gehe ich nach Hause und ziehe trotzdem über die unpassenden Kommentare und das Benehmen von Mitmenschen her. Lasse die Sonne nicht untergehen über deinem Zorn. Kläre deine Konflikte. Natürlich. Doch sobald niemand hinsieht, fliegen die Fetzen, regiert die Rache, ist von dem hingebungsvollen Leben aus der Barmherzigkeit Gottes nicht mehr viel zu sehen.

Wie genau nehme ich es mit der Wahrheit, wie verantwortlich gehen ich mit meinem Körper um? Wenn ich diese Fragen in der Theorie stelle, werden die meisten die richtige Antwort wissen. Aber wie sieht es aus im verborgenen Kämmerlein? Wenn mich niemand mehr sieht?

 

Wir alle sind Kinder

 

Doch Jesus bleibt hier nicht stehen. Er gibt eine Perspektive für eine Gemeinschaft, die echt und aufrichtig ist, die lebt, wovon sie überzeugt ist. Diese Gemeinschaft hat einen Lehrer, auf den sie hört: Jesus Christus. Seine Botschaft, seine Taten, seine Hingabe sind unser Maßstab. Am Wort Gottes, an der Bibel kommt deshalb keiner vorbei.

Diese Gemeinschaft ist eine geschwisterliche. Wir haben nur einen Vater (vgl. Mal 1,10). Wir alle sind seine Kinder, ausnahmslos! Damit begegnen wir uns auf Augenhöhe und keiner ist mehr oder weniger wert. Entsprechend sollen wir miteinander umgehen.

 

Mehr Macht, mehr Verantwortung

 

Diese Gemeinschaft ist eine dienende. Jesus hatte vor allem die Armen und Schwachen, die Kleinen und unter-die-Räder-Gekommenen im Blick. Er ist gekommen, die Gebeugten aufzurichten und die Unterdrückten zu befreien. Diese Gemeinschaft trägt die Lasten anderer mit und bürdet keine neuen auf. Wer für diese Gemeinschaft ein Amt ausübt, hat Macht. Macht bedeutet Verantwortung, mehr Macht mehr Verantwortung.

Jakobus formuliert daher ziemlich eindringlich und unmissverständlich: „Hört das Wort nicht nur an, sondern handelt danach; sonst betrügt ihr euch selbst“ (Jak 1,22). Das immer wieder zu überprüfen, bleibt meine persönliche Verantwortung.

Sämtliche Texte der Lesungen und des Evangeliums vom 31. Sonntag im Jahreskreis (A) finden Sie hier.

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