Noch ein Gutachten, spannende Namen, viele Baustellen und immer weniger Mitglieder

Ausschau: Auch 2022 wird ein kritisches Jahr für die Kirche in Deutschland

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Die Aufarbeitung von Missbrauch wird die beiden großen Kirchen auch 2022 weiter beschäftigen. Zumal ein weiteres spannendes Gutachten im Erzbistum München-Freising zu erwarten ist - mit hochkarätigen Namen. Dazu steht die Frage im Raum, welche Relevanz Kirche in einer zunehmend kirchenfernen Gesellschaft zu entfalten vermag. Eine Vorschau auf das neue Jahr.

Am Aschermittwoch ist sie vorbei: die Auszeit des Kölner Kardinals Rainer Maria Woelki. Am 2. März will der 65-Jährige wieder die Leitung seines Erzbistums übernehmen. Die Diskussion um seine Rolle beim Umgang mit sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche dürfte damit allerdings nicht beendet sein.

Erst recht nicht, nachdem bekannt wurde, dass der Erzbischof für Gutachter, Medienanwälte und Kommunikationsberater rund 2,8 Millionen Euro ausgab - im Gegensatz zu 1,5 Millionen Euro, die seit 2010 an Betroffene von Missbrauch gingen.

Gutachten über Zeit von Ratzinger in München erwartet

Neben Köln steht ein weiteres Erzbistum in der gleichen Angelegenheit zu Beginn des neuen Jahres im Fokus. Dann werden die Anwälte der Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) ihr Gutachten zum Umgang mit Fällen sexuellen Missbrauchs im Erzbistum München und Freising der Öffentlichkeit vorstellen. Der Termin steht gleichwohl noch nicht fest.

Die Präsentation wird auch international mit Aufmerksamkeit verfolgt. Denn es geht um das Verhalten etlicher prominenter kirchlicher Verantwortungsträger im Zeitraum von 1949 bis 2019, darunter der inzwischen emeritierte Papst Benedikt XVI.. Er war als Joseph Ratzinger von 1977 bis 1982 Erzbischof von München und Freising.

Voraussichtlich keine Wechsel an Bistumsspitzen

Bei der Frühjahrsvollversammlung der deutschen Bischöfe vom 7. bis 10. März im oberfränkischen Wallfahrtsort Vierzehnheiligen dürfte es an Gesprächsstoff jedenfalls nicht mangeln. Dafür dürfte sich an den Spitzen der Bistümer nichts verändern - zumindest nicht aus Altersgründen, und derzeit sind alle Posten absehbar besetzt. Keiner der Diözesanbischöfe erreicht 2022 die Grenze von 75 Jahren, die mit der Einreichung des Rücktrittsgesuchs beim Papst verbunden ist.

Die 70er-Marke indes haben einige erreicht, und einer wird sie überschreiten: Der Paderborner Erzbischof Hans-Josef Becker wird im Juni 74, der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode im Februar 71, ebenso der Magdeburger Bischof Gerhard Feige im November. Bischof Gerhard Fürst von Rottenburg-Stuttgart vollendet im Dezember sein 74. Lebensjahr, der Münsteraner Felix Genn im März sein 72., Ludwig Schick aus Bamberg wird im September 73 und Heinrich Timmerevers aus Dresden im August 70.

Mitgliederzahlen am Kipppunkt?

Unterdessen geht der Mitgliederschwund in beiden großen Kirchen weiter - nicht zuletzt auch als eine Folge des Missbrauchsskandals. Manche Beobachter sehen bald schon einen "Kipppunkt" erreicht: Der Tag sei nicht mehr fern, an dem erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik der Anteil von Katholiken und Protestanten an der Gesamtbevölkerung unter die Marke von 50 Prozent zu rutschen drohe. Die Statistiken, die üblicherweise im Sommer vorliegen, dürften das diesmal allerdings noch nicht hergeben.

"Die Zahlen zur Kirchenzugehörigkeit und Bindung sind Alarmsignale", sagte jetzt auch der Limburger Bischof und Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Die Kluft zwischen Kirche und Gesellschaft werde größer, insbesondere "in Fragen von Sexualität, Partnerschaft, Gleichberechtigung von Frauen und Männern".

Kritischer Dialog mit Bundesregierung

Wie kann sich diese Kirche in einer zunehmend kirchenfernen Gesellschaft dennoch Gehör verschaffen? Eine knifflige Frage, auch mit Blick auf die Lobbyarbeit im politischen Berlin. Die neue Ampel-Regierung unter Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat mehrere Vorhaben auf der Agenda, bei denen Kirchenvertreter genauer hinschauen wollen. Beim Lebensschutz oder bioethischen Fragen werde man "sicher in einen kritischen Dialog treten müssen", sagte beispielsweise der Vertreter der Bischöfe in Berlin, Karl Jüsten, in einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). In ihren Predigten zum Jahreswechsel äußerten sich auch die Bischöfe Genn aus Münster und Meier aus Augsburg besorgt.

Zugleich greife der Koalitionsvertrag in vielen Bereichen Anliegen der Kirchen auf, etwa soziale Fragen, beim Klimaschutz oder der Migration, so Jüsten weiter. Themen, die auch das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) auf dem Schirm haben wird. Ab Jahresbeginn verlegt das höchste repräsentative Gremium der katholischen Laien in Deutschland seinen Sitz von Bonn nach Berlin. Das neue ZdK-Präsidium um Irme Stetter-Karp kündigte bereits an, dass sich mit dem Umzug der Auftrag verbinde, das politische Profil des Katholikenkomitees zu schärfen.

Klappt's mit dem Katholikentag?

Präsenz zeigen wird für beide Kirchen angesichts der nicht enden wollenden Corona-Pandemie zu einer echten Herausforderung. Über Zusammenkünften aller Art vom Sonntagsgottesdienst bis zu Großveranstaltungen wie dem Katholikentag Ende Mai in Stuttgart oder der bereits einmal verschobenen Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen vom 31. August bis zum 8. September in Karlsruhe schwebt weiter das Damoklesschwert der Pandemie.

Das gilt auch für die beiden 2022 geplanten Vollversammlungen des Synodalen Wegs in Frankfurt. Die von Bischöfen und ZdK unter dem Eindruck des Missbrauchsskandals gestartete Initiative will schon beim Treffen vom 3. bis 5. Februar möglichst konkrete Vorschläge für Reformen in der katholischen Kirche verabschieden. Zu den offenen Baustellen gehören eine stärkere Beteiligung von Frauen, Änderungen in der Sexualmoral und ein anderer Umgang mit Macht in der Kirche. Bei weitem nicht alles davon wird sich im Laufe des kommenden Jahres klären lassen.

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