Themenwoche „Renovabis-Pfingstaktion 2024“ (1)

Brauchen die Kirchen in Osteuropa noch immer Hilfe, Regina Elsner?

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Renovabis entstand nach der Wende, um die katholische Kirche in Osteuropa zu unterstützen. Ist das noch nötig? Geht auch Hilfe nach Russland? Warum? Kirche+Leben fragt die Theologin und Ostkirchen-Expertin Regina Elsner.

Frau Elsner, Renovabis wurde 1993 nach der politischen Wende in Osteuropa gegründet. Wie viel Hilfe brauchen die katholischen Kirchen im Osten noch?

Das ist stark länderabhängig. Zumindest die finanzielle Förderung in großen, traditionell katholischen Ländern wie Polen ist für die Kirche weniger wichtig als in postsowjetischen Staaten, wo sie keinerlei staatliche oder sonstige Unterstützung erhält. Da ist Hilfe von außen entscheidend dafür, dass katholische Minderheiten überhaupt existieren können. Die Förderung mit pastoralem, theologischem und sozialethischem Know-how ist aber überall notwendig.

Welche Rolle haben die oft kleinen katholischen Minderheiten in vielen Förderländern, zum Beispiel in früheren Sowjetstaaten?

Dort ist die Kirche eher eine Gemeinschaft ethnischer Minderheiten, die seit Generationen katholische Wurzeln haben, während zum Beispiel Russland stark orthodox und Kasachstan islamisch geprägt ist. Die gesellschaftliche Bedeutung der katholischen Kirche in diesen Ländern ist sehr, sehr gering. Das sieht in Belarus und der Ukraine ganz anders aus. Dort war die katholische Kirche eine wichtige Stimme der Demokratiebewegung.

Die katholische Kirche, die selbst kaum demokratisch ist?

Themenwoche „Renovabis-Pfingstaktion 2024“
Das kirchliche Hilfswerk Renovabis konzentriert seine Hilfe auf Osteuropa. Die bundesweite Pfingstaktion wird am 5. Mai im Dom in Münster eröffnet. Im Vorfeld fragt Kirche+Leben eine Expertin, ob Hilfe weiterhin notwendig ist. Zudem stellen wir zwei konkrete Hilfsprojekte vor.

Ja. Die Kirche war Teil und ein Raum des freiheitlichen Aufbruchs nach dem Fall des Kommunismus. In Belarus hat sie sich 2020 an den Protesten gegen Machthaber Alexander Lukaschenko beteiligt. Lukaschenko ist damals auch gegen Bischöfe vorgegangen; es gibt viele Katholiken unter den politischen Gefangenen.

Renovabis fördert auch Projekte in Russland. Was ist da überhaupt möglich für ausländische Hilfswerke?

Ich habe von 2006 bis 2010 für die Caritas in St. Petersburg gearbeitet, hatte damals auch mit Renovabis zu tun. In Russland werden ganz basisnahe soziale Projekte und die Priesterausbildung gefördert, weil die katholische Kirche praktisch keine eigenen Mittel hat. Pastoral in Russland funktioniert nur mit Unterstützung aus dem Ausland. Das ist schwieriger geworden. Seit 2013 gibt es das „Gesetz gegen ausländische Agenten“. Davon sind Kirche und Caritas eigentlich nicht betroffen, nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine 2014 wuchs der Druck auch auf ausländische Religionsgemeinschaften stark. Heute ist Hilfe für und durch die Kirche möglich, aber der bürokratische Aufwand ist riesig. Und die Kirche selbst ist vorsichtiger geworden.

Wie kooperativ können orthodoxe Kräfte in Russland sein, wo Patriarch Kyrill einer der engsten Verbündeten des Kriegsherrn Wladimir Putin ist?

Renovabis fördert katholische Partner und ist – gerade bei kleinen Minderheitenkirchen – auf Bischöfe als Ansprechpartner angewiesen. Eine ökumenische Zusammenarbeit gibt es in Russland ohnehin kaum, sie wird in der Projektarbeit leider auch nicht direkt gefordert. Es gibt ökumenisch offene Priester und Gläubige, die häufig auch kritisch auf ihre eigene Kirchenleitung und die Kriegsideologie schauen. Ich würde mir eine stärkere Kooperation mit diesen orthodoxen Kräften an der Basis wünschen. Das ließe sich in Projektbeschreibungen vor Ort anlegen.

Nicht nur in Russland, sondern auch in illiberal regierten Ländern wie Ungarn: Sollte die Förderung von Renovabis von demokratischen Standards abhängig sein?

Kirchliche Hilfe orientiert sich an Maßstäben der katholischen Soziallehre. Die Kirche und auch Renovabis sollten in den Förderländern diese Werte auch in die Diskussion einbringen und im Ernstfall zum Widerspruch gegen illiberale, demokratiefeindliche Entwicklungen ermutigen. Die katholischen Kirchen in Osteuropa sind meist konservativer, als wir es in westlichen Ländern gewohnt sind. Das ist Teil des Spektrums der Weltkirche.

Misereor und Renovabis denken in Richtung einer Fusion. Braucht es Renovabis noch?

Ja. Ein großer Teil dessen, wie Südost- und Osteruropa in der Kirche in Deutschland wahrgenommen werden, hat mit der Arbeit von Renovabis zu tun. Denken Sie zum Beispiel an die Länderberichte des Hilfswerks zur Religionsfreiheit und seine Bildungsarbeit, auch die Unterstützung von Journalismus über Osteuropa. Ich kann verstehen, dass Hilfswerke über Kooperation zum Beispiel im administrativen Bereich nachdenken. Renovabis hat aber ein eigenes Profil, das bleiben sollte.

Regina Elsner ist seit Januar 2024 Professorin für Ostkirchenkunde und Ökumenik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster. Zwischen 2005 und 2010 hat sie in St. Petersburg in Russland gearbeitet, zunächst in einem Freiwilligenjahr im Ausland, danach als Projektkoordinatorin für Caritas Russland.

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