Kaum Chancen für eine Friedensbewegung

Die beiden Kirchen und das Ende des Ersten Weltkriegs

Soldatentod als Opfer, Krieg als moralische Erneuerung: Beiden Kirchen in Deutschland haben den Ersten Weltkrieg lautstark unterstützt. Die Niederlage von 1918 war ein Schock. Selbstkritik gab es kaum, analysiert der Münsteraner Historiker Thomas Großbölting.

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Die Niederlage traf die Menschen unvorbereitet. Als sich vor 100 Jahren, abzeichnete, dass Deutschland und seine Verbündeten den Ersten Weltkrieg verloren hatten, machte sich Entsetzen breit. Auch für die beiden Kirchen kam die Niederlage, die mit dem Waffenstillstand von Compiegne am 11. November 1918 besiegelt wurde, völlig unerwartet und bedeutete für alle einen Schock.

„Beide Kirchen hatten den Krieg stark unterstützt - die evangelische noch mehr als die katholische“, sagte der Münsteraner Historiker Thomas Großbölting am Montag im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Als am 1. August 1914 in Berlin die Mobilmachung verkündet wurde, sang die versammelte Menge lautstark „Nun danket alle Gott“. Pfarrer und Theologieprofessoren stimmten euphorisch in die Kriegsrhetorik ein. Sie verteidigten den Krieg als gerechte Sache und sahen Deutschland in der Rolle des Opfers. Der Soldatentod wurde in Bezug gesetzt mit dem Opfertod Christi.

 

Münkler: Geistliche hatten herausragende Rolle in Kriegspropaganda

 

Nach den Worten des Berliner Politikwissenschaftlers Herfried Münkler hatten die Geistlichen beider Kirchen sogar eine herausragende Rolle in der Kriegspropaganda, weil sie landesweit dem Krieg eine religiöse Deutung gaben. Für die Protestanten waren Thron und Altar eng verzahnt. Kaiser Wilhelm II. war als preußischer König zugleich Oberhaupt der evangelischen Kirche Preußens. „Mitten im Frieden überfällt uns der Feind. Darum auf! Zu den Waffen!“ proklamierte er im August 1914: „Vorwärts mit Gott, der mit uns sein wird, wie er mit den Vätern war.“ Als 1917 der 400. Jahrestag der Reformation gefeiert wurde, wurde Luther als deutschnationaler Held instrumentalisiert.

Auch die Katholiken wollten ihre Loyalität zu Kaiser und Reich zeigen. „Sie sahen nach den traumatischen Erfahrungen des Kulturkampfs Ende des 19. Jahrhunderts die Chance, sich als gute Deutsche zu beweisen“, sagt Großbölting. Von einem heilsamen Krieg und einem Gericht Gottes war die Rede. „Obwohl die katholische Kirche wegen ihres universalen Charakters stets Distanz zum Nationalismus des 19. Jahrhunderts gehalten hatte, traten am Anfang des Weltkriegs Bischöfe, Priester und Gläubige in großer Zahl an die Seite derer, die den Krieg als moralische und geistige Erneuerung begrüßten“, erklärte die Deutsche Bischofskonferenz 2014.

 

Kriegsniederlager führte zur Depression des Protestantismus

 

Von solcher Selbstkritik war direkt nach dem Ende des großen Schlachtens wenig zu spüren. Die Kirchen thematisierten Ende 1918 eher das Leid der Bevölkerung und den demütigenden Friedensvertrag von Versailles. „Ein Nachdenken über die Brutalität des industrialisierten Krieges, die im Evangelium geforderte Feindesliebe oder eine europäische Friedensordnung gab es nur in kleinen Ansätzen“, sagt Großbölting. Zwar entstanden in beiden Kirchen Initiativen für die Gründung einer Friedensbewegung. Doch sie blieben marginal; die Verantwortlichen wurden angefeindet und ausgegrenzt. Selbst Papst Benedikt XV. traf mit seiner Friedensenzyklika von 1920 auf wenig Resonanz bei den Katholiken.

Die Kriegsniederlage stürzte den Protestantismus im Reich in eine große Depression. Die Weimarer Reichsverfassung von 1919 hob das Staatskirchentum auf. Die evangelische Kirche war nur noch eine Religionsgemeinschaft unter vielen. Es sollte noch bis nach dem Zweiten Weltkrieg dauern, ehe die Protestanten ihre skeptische bis ablehnende Haltung gegenüber der Demokratie überwanden.

 

Glaubwürdigkeitskrise der Kirchen

 

Die Katholiken taten sich, so Großbölting, leichter mit der Weimarer Republik. Die Struktur der Kirche blieb erhalten. Mit dem Zentrum hatten die Katholiken auch eine eigene, die Politik stark mitgestaltende Partei.

Nach Einschätzung von Münkler hat die positive Haltung zum Krieg die Kirchen in eine Glaubwürdigkeitskrise gestürzt. Je schlimmer das sinnlose Sterben, desto mehr kehrten sich die Soldaten innerlich von einer Institution ab, die den Krieg religiös befeuert hatte. „In der Weimarer Republik kommt es aus diesem Grund zu einer schleichenden Charismatisierung religiöser und politischer Vorstellungen“, so Münkler. Das stark monarchisch geprägte Kirchenbild verlor an Glanz. An die Privatisierung religiöser Gefühle hätten dann auch die Nazis anknüpfen können.

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