In Ringenberg gab es katholischen und evangelischen Schulhof

Die Mauer vom Niederrhein - Grenze trennte Kinder nach Konfession

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In einer niederrheinischen Schule im Bistum Münster wurden katholische und evangelische Kinder in den 1960er Jahren durch eine Grenzmauer getrennt. Jetzt ist das Bauwerk museumsreif und wird im Düsseldorfer Haus der Geschichte ausgestellt.

Hermann Straatmann ist noch heute fassungslos, wenn er an eine Szene aus seiner Grundschul-Zeit denkt: „Der Lehrer hat einen Mitschüler so geschlagen, dass der rückwärts auf die andere Bank flog“, erinnert sich der heute 71-Jährige. Der Grund für die Schläge schockiert Straatmann auch über 60 Jahre nach dem Vorfall: Der Junge war in der Pause über eine Grenzmauer geklettert, die den Hof der Volksschule im niederrheinischen Ringenberg (Kreis Wesel) in der Mitte trennte. In einen evangelischen und einen katholischen Teil. „Dass der dafür derartig geprügelt wurde, war ein bleibendes Erlebnis für viele in der Klasse“, sagt Straatmann.

Mit der strikten Abriegelung durch eine Schulhofmauer sei Ringenberg ein extremes Beispiel für die konfessionelle Spaltung der Nachkriegsgesellschaft gewesen, urteilt Jürgen Peter Schmied, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung Haus der Geschichte Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf. Ein Teil der gelben Backsteinwand ist in der Ausstellung „Unser Land. 75 Jahre Nordrhein-Westfalen“ zu sehen.

Modernes Schulhaus mit konfessioneller Trennung

Die Mauer brachte den kleinen Ort, der heute zu Hamminkeln gehört, schon in den 1960er Jahren bundesweit in die Schlagzeilen. Die Ringenberger hätten sich damals zu Unrecht am Pranger gesehen, erinnert sich Straatmann. Denn ursprünglich ging es den Verantwortlichen vor allem darum, ein moderneres Schulgebäude und bessere Lernbedingungen für alle Kinder des Ortes zu schaffen.

Ende der 1950er Jahre hatte Ringenberg nämlich eine katholische und eine evangelische Volksschule, die beide viel zu klein und zudem marode waren. „Deshalb dachte man pragmatisch, ein gemeinsames Schulgebäude zu bauen, das dann aber nach Konfessionen getrennt wird“, sagt Schmied, der die Geschichte der Schulhofmauer recherchiert hat. So entstand 1960 ein für damalige Verhältnisse modernes Doppel-Schulhaus, das jedoch die althergebrachte konfessionelle Trennung zementierte – mit einer zwei Meter hohen gelben Backsteinmauer quer über den Pausenhof.

Getrennte Erziehung in NRW üblich

„Uns wurde gesagt, dass man da nicht rübergeht“, erinnert sich Gerda van Haren, die den katholischen Teil der Schule besuchte. „Ich habe mich daran gehalten, weil ich nicht das Verlangen hatte, mich erwischen zu lassen und bestraft zu werden.“ Als Kind habe er die Situation als völlig normal empfunden, sagt Straatmann, der auf der evangelischen Seite des Schulhofs spielte. Sein damaliger Schulkamerad Frank Wernecke erinnert sich: „Man hatte tatsächlich zu den katholischen Kindern überhaupt keinen Kontakt.“

Nicht überall trat die konfessionelle Spaltung in den Volksschulen so drastisch zutage wie in Ringenberg. Doch in den Nachkriegsjahrzehnten sei die getrennte Erziehung evangelischer und katholischer Kinder in Nordrhein-Westfalen üblich gewesen, erklärt Schmied. Die Konfessionsschulen waren 1950 als Regelfall in der Landesverfassung festgeschrieben worden. Durchgesetzt hatten das die CDU und die katholische Zentrums-Partei.

Kirchen in einer sehr starken Position

„Nach dem Zweiten Weltkrieg und der furchtbaren Diktatur der Nationalsozialisten mit ihrem Zivilisationsbruch waren die Kirchen allgemein in einer sehr starken Position“, erklärt Schmied. Auf der Suche nach einem intellektuellen und kulturellen Neubeginn habe die Politik die christliche Prägung als Schutz gegen einen Rückfall in die Barbarei des Nationalsozialismus gesehen.

„Durch dieses Kuriosum der Konfessionsschule war man vier Jahre lang in einer Blase: In einer katholischen oder in einer evangelischen Blase“, erinnert sich Wernecke. Nach vier Grundschuljahren zeigte sich aber, dass die Trennung schon damals nicht zeitgemäß war. Die Mädchen und Jungen, die die Volksschule verließen und auf die Realschule oder aufs Gymnasium wechselten, wurden von einem Tag auf den anderen gemischt konfessionell unterrichtet. „Und da spielte Konfession überhaupt keine Rolle mehr“, erinnert sich Straatmann. Auch van Haren fuhr plötzlich jeden Tag mit einer evangelischen Mitschülerin gemeinsam im Schulbus. „Da war die Konfession kein Thema.“

Konfessionsschule als Regelfall abgeschafft

1966 kam in Düsseldorf eine sozialliberale Koalition an die Regierung. Zwei Jahre später wurde die Konfessionsschule als Regelfall in NRW abgeschafft. Auch in der Ringenberger Schule fiel Ende der 1960er Jahre die Mauer zwischen den Konfessionen. Heute ist sie ein Stück nordrhein-westfälische Geschichte.

Die Ausstellung „Unser Land. 75 Jahre Nordrhein-Westfalen“ in Düsseldorf ist noch bis zum 28. August zu sehen. Öffnungszeiten: Dienstags bis freitags 9 bis 18 Uhr, samstags, sonntags und feiertags 10 bis 18 Uhr. Weitere Informationen auf der Webseite.

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