Betroffener fordert 300.000 Euro Schmerzensgeld

Missbrauchs-Prozess gestartet - Gericht sieht Kirche in Haftung

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Der zweite Schmerzensgeldprozess eines Missbrauchsopfers gegen die katholische Kirche hat begonnen. Der 39-Jährige fordert vom Erzbistum München und Freising 300.000 Euro Schmerzensgeld. Mit einem Urteil könne laut Gericht nicht mehr in diesem Jahr gerechnet werden.

Noch lange kein Ende in Sicht: Der zweite Schmerzensgeldprozess eines Missbrauchsopfers gegen die katholische Kirche in Deutschland steuert auf eine umfangreiche Beweiserhebung zu. In diesem Jahr sei nicht mehr mit einem Urteil zu rechnen, sagte die stellvertretende Präsidentin des Landgerichts Traunstein, Andrea Titz, nach dem Ende der ersten Verhandlung am Dienstag.

Am 14. Juli wird das Gericht Details zur Beweisaufnahme verkünden. Dafür werden wahrscheinlich mehrere Verhandlungstermine erforderlich sein. Anschließend wird das Gericht ein psychiatrisches Gutachten beauftragen.

Bei wem liegt die Beweislast?

Zuvor war eine Güteverhandlung zwischen den Prozessparteien gescheitert. Ein 39-jähriger Oberbayer verlangt vom Erzbistum München-Freising mindestens 300.000 Euro Schmerzensgeld. Der Anwalt des Erzbistums sagte, die Kirche sei grundsätzlich bereit, für den Schaden aufzukommen. Für eine Bewertung reiche der bisherige Vortrag des Klägers aber nicht aus. Auch das Gericht gab mangels einer solchen Grundlage keine Hinweise, welche Summe angemessen sein könnte. Allerdings stelle sich die Frage, bei wem die Beweislast liege.

In der Beweiserhebung wird es zunächst um die Wendungen und Brüche im Leben des Klägers nach dem Missbrauch gehen. Dabei ist unstrittig, dass er Mitte der 1990er Jahre im Pfarrhaus von Garching an der Alz Opfer sexualisierter Gewalt wurde. In einem zweiten Schritt wird zu klären sein, inwiefern etwaige Brüche in seinem Leben wie etwa eine Alkohol- und Drogensucht ursächlich auf den Missbrauch zurückzuführen sind.

Klage gegen Benedikt-Erben abgetrennt

Die Klage gegen die Erben von Benedikt XVI. wurde kurzfristig vom Verfahren abgetrennt. Ihm wurde vorgeworfen, er habe als Münchner Erzbischof Joseph Ratzinger (1977-1982) dem weiteren Einsatz des Missbrauchstäters zugestimmt, obwohl er von früheren Taten gewusst habe.

Bisher ist die Rechtsnachfolge für den an Silvester 2022 verstorbenen früheren Papst ungeklärt. Sollten keine Erben ermittelt werden können, wird über diese Klage nicht weiter verhandelt. Zurückgenommen hat der Kläger am Dienstag seinen Antrag gegen den früheren Münchner Erzbischof Friedrich Wetter.

Gericht: Amtshaftung gegeben

In seiner vorläufigen Rechtseinschätzung machte das Gericht deutlich, dass es eine Amtshaftung des Erzbistums für Schäden, die von ihren Angestellten verursacht wurden, grundsätzlich als gegeben ansieht. Schon der erlittene Missbrauch begründe einen Anspruch auf Schmerzensgeld. Geklärt werden müsse nun, wie hoch dieser sei, sagte die Vorsitzende Richterin.

Der Verhandlungsbeginn am Dienstag wurde von Demonstrationen begleitet. Die „Initiative Sauerteig“ aus Garching und die katholische Reformgruppe „Maria 2.0“ stellten sich in vollem Umfang hinter die Forderungen des Klägers.

Betroffene hoffen auf Urteil

Die „Initiative Sauerteig“ betonte: „Dieser Prozess ist für uns Gläubige und die katholische Kirche deshalb von größter Bedeutung, weil er die Chance bietet, zu identifizieren, welche Anordnungen und Vorgehensweisen innerhalb der Institution Kirche pädokriminellen Tätern Vorschub geleistet und Deckung geboten haben.“ Es müsse zu einem Urteil kommen, „denn ein Vergleich würde die Problematik wieder im Ungefähren belassen“. Die Initiative hat nach eigenen Angaben 25.000 Euro Spenden gesammelt, um die Prozesskosten des Klägers zu finanzieren.

Im bundesweit ersten Fall dieser Art war vor einer Woche das Erzbistum Köln verurteilt worden. Es soll 300.000 Euro Schmerzensgeld an einen Missbrauchsbetroffenen für jahrelang erlittene vielfache Vergewaltigungen durch einen Priester zahlen. Die Entscheidung ist aber noch nicht rechtskräftig.

Der Sprecher der Betroffeneninitiative „Eckiger Tisch“, Matthias Katsch, sagte im Deutschlandfunk, die beiden Prozesse könnten Signalwirkung für Hunderte weiterer Missbrauchsopfer haben und der Beginn einer Klagewelle gegen die Bistümer sein. Die Botschaft dieser Verfahren laute: „Ihr habt eine Chance auf Entschädigung.“ Betroffene, die nicht den schwierigen Weg einer Klage gehen wollten, rief er auf, zumindest die bisher von der Kirche gezahlten Anerkennungsleistungen in ihrer Höhe zu überprüfen.

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