Nach erstem staatlichen Urteil: Kommissions-Vorsitzende im Interview

Wann erhöht die Kirche die Zahlungen an Missbrauchsopfer, Frau Reske?

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Mit den Prozessen vor staatlichen Gerichten in Köln und Traunstein steht die Frage im Raum, ob das von der katholischen Kirche in Deutschland gewählte Verfahren für Geldzahlungen an Betroffene sexualisierter Gewalt geändert werden sollte. Für das Verfahren zuständig ist die Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA). Fragen an die Vorsitzende Margarete Reske.

Frau Reske, über wie viele Anträge von Missbrauchsbetroffenen hat die UKA entschieden?

An jedem Monatsanfang aktualisieren wir die Zahlen und machen sie auf unserer Homepage öffentlich. Bis Ende Juni sind insgesamt 2.338 Anträge eingegangen und 2.139 beschieden. Dazu kommen insgesamt 152 Anträge, bei denen Betroffene mit neuen Informationen eine erneute Befassung beantragt haben. Davon sind 119 beschieden. Seit dem 1. März dieses Jahres sind 368 Widersprüche eingegangen, und bisher gab es 32 Entscheidungen zu einem Widerspruch.

Wie viel Geld wurde bewilligt?

Ende vergangenen Jahres hatte die UKA knapp 41 Millionen Euro bewilligt. Inzwischen liegen wir weit darüber, werden den zuerkannten Gesamtbetrag aber erst Ende des Jahres wieder erheben und veröffentlichen.

Wie viel Geld haben Betroffene im Schnitt erhalten?

Eine durchschnittliche Auszahlungshöhe ermitteln wir bewusst nicht, weil wir sie in Bezug auf den einzelnen Antragsteller für nicht aussagekräftig halten. Wir überprüfen differenziert jeden einzelnen Fall sexualisierter Gewalt nach der Schwere der Tat und ihrer Auswirkungen, darüber hinaus im Hinblick auf ein institutionelles Versagen innerhalb der katholischen Kirche bezogen auf den Einzelfall.

Welches war der höchste bislang zuerkannte Betrag?

Die Schweigepflicht und der Datenschutz verbieten es mir, den höchsten Betrag, der bisher angewiesen wurde, zu nennen. Aus unserem Jahresbericht für das Jahr 2022 sehen Sie aber, dass wir 2021 und 2022 insgesamt 24 Entscheidungen mit einem Anerkennungsbetrag von über 100.000 Euro gefällt haben. Dabei lagen die einzelnen Beträge zum großen Teil deutlich höher als dieser genannte Betrag.

Bei den Prozessen in Köln und in Traunstein stehen Schmerzensgeldzahlungen von rund 300.000 Euro im Raum. Wann passt die UKA ihre Zahlungen an?

Im Hinblick auf das Kölner Urteil müssen wir zunächst abwarten, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe es rechtskräftig werden wird. Beiden Parteien ist es möglich, in die Berufung zu gehen, sodass der zuerkannte Betrag theoretisch noch nach oben oder nach unten gehen kann. Erst wenn klar ist, mit welchem Schmerzensgeldbetrag in diesem Rechtsstreit endgültig zu rechnen ist, können wir diesen zutreffend berücksichtigen.

Ist nicht spätestens dann der Moment gekommen, über die Zahlungshöhe noch einmal grundsätzlich nachzudenken?

Auch das Kölner Urteil kann und wird nicht zu pauschalen Anpassungen des Anerkennungsbetrages führen. Vielmehr bleiben gegenüber jedem einzelnen Betroffenen die Taten und ihre Folgen - wie im Rechtsstreit um Schmerzensgeld vor staatlichen Gerichten - der Maßstab der Zumessung der Anerkennungsleistung. Das bedeutet aber nicht, dass nicht eine grundsätzliche Anpassung stattfinden wird, sollten zum Beispiel durch das Kölner Urteil bezogen auf einzelne Merkmale Maßstäbe der Bemessung angehoben werden. Denn wir werden uns - wie das auch bisher geschehen ist - im oberen Bereich der von staatlichen Gerichten zuerkannten Beträge halten.

Was geschieht in der Zwischenzeit?

Bislang sind der genaue Streitgegenstand des Rechtsstreits und der Entscheidungsinhalt den Kommissionsmitgliedern nicht bekannt. Wir warten allerdings in der Zwischenzeit bis zur Rechtskraft des Kölner Urteils mit unseren Entscheidungen nicht etwa ab. Der Schwebezustand hindert die UKA nicht, die teilweise sehr dringlichen Anträge der Betroffenen auf der Basis der bisher in vergleichbaren Fällen rechtskräftig zuerkannten Schmerzensgelder zu bescheiden.

Wie könnte sich der Traunstein-Prozess auswirken?

Was dieses Verfahren angeht, kann es bis zu einer endgültigen Entscheidung noch lange dauern.

Erwarten Sie noch weitere Urteile von staatlichen Gerichten?

Ich bin erstaunt, dass es erst jetzt, nach teilweise so langer Zeit seit den Taten, zu Klagen vor den staatlichen Gerichten gekommen ist. Die Anspruchsgrundlage - Amtshaftungsansprüche gemäß Paragraf 839 BGB, Artikel 34 Grundgesetz (analog) - hat es seit jeher gegeben. Und es gibt auch sonst keinen Grund, warum Betroffene, die dies wünschten, nicht zum Beispiel seit Aufkommen der Diskussion um den Missbrauch in der katholischen Kirche die staatlichen Gerichte angerufen haben. Ob nun, angeregt durch die laufenden Rechtsstreite in Köln und Traunstein, weitere Klagen erhoben werden, können wir nicht wissen. Keinesfalls raten wir den Betroffenen, die dies können und wollen, ab, sich ihr Recht vor Gericht zu erstreiten. Das kirchliche Verfahren steht dem überhaupt nicht im Wege.

Wenn vor weltlichen Gerichten die zugesprochenen Summen steigen, warum sollten Betroffene noch auf das kirchliche Verfahren setzen?

An der Fassung der Verfahrensordnung, die sich hinsichtlich der Bemessung von Anerkennungsleistungen der Höhe nach auf die Rechtsprechung der staatlichen Gerichte bezieht, zeigt sich, dass es sich um ein sehr flexibles System handelt. Dem liegt zugrunde, die aktuellste Rechtsprechung zu berücksichtigen. Und es erlaubt, auch neue Informationen im Wege erneuter Befassung zugunsten der Betroffenen zu berücksichtigen. Daher erspart das kirchliche Verfahren Betroffenen, Taten, die oft lange zurück liegen, im Einzelnen im Sinne einer schlüssigen Klage vorzutragen und gegebenenfalls zu beweisen. Im Verfahren der UKA reicht die plausible Schilderung, was vom Maßstab her deutlich darunter liegt. Zudem spielt die Frage, ob Verjährung eingetreten ist, im kirchlichen Verfahren keine Rolle. Und es gibt engagierte unabhängige Ansprechpersonen, die die Betroffenen bei der Antragstellung unterstützen.

In der Vergangenheit hat die Kirche zusammen mit anderen Institutionen Sonderfonds etwa für Heimkinder oder Zwangsarbeiter im Zweiten Weltkrieg aufgelegt. Wäre es nicht an der Zeit, über eine solche Lösung nachzudenken?

Diese Frage wäre an die Deutsche Bischofskonferenz zu richten.

Was geschieht mit den Daten, die Betroffene von Missbrauch bei der UKA einreichen? Wo werden sie gespeichert, was davon geht an die Bistümer beziehungsweise die Orden?

Der Datenschutz hat in der Arbeit der UKA extrem hohe Bedeutung. Die Informationen werden strikt vertraulich gehalten. Die Schweigepflicht wird in jeder Hinsicht eingehalten. Um es konkret zu sagen: Die Daten werden ausschließlich in der Geschäftsstelle der UKA in Papierform in verschlossenen Aktenschranksystemen datenschutzkonform aufbewahrt sowie in einem gegen unberechtigten Zugriff gesicherten Softwaresystem datenschutzkonform dokumentiert und gespeichert.

Wie lange werden die Daten vorgehalten?

Die Daten werden gespeichert, solange im Rahmen einer möglichen erneuten Befassung oder eines möglichen Vorbringens neuer Informationen eine Verarbeitung erforderlich werden kann. Ohne Einwilligung des Betroffenen werden die Daten weder an die Bistümer noch an die Orden herausgegeben.

Hat die UKA so etwas wie Vorbildcharakter?

Die evangelische Kirche hat mittlerweile ein sehr ähnliches Verfahren eingesetzt - mit einem wichtigen Unterschied: Die UKA arbeitet bundesweit, die evangelische Kirche hat sich landeskirchlich organisiert. Auf unserer Seite halten wir es für wichtig, dass es keine Unterschiede in der Höhe der Anerkennungsleistung gibt für Betroffene mit Ansprüchen gegen reiche oder arme Diözesen. Aber wichtig ist: Es ist im Grunde ein ganz ähnliches, freiwilliges Verfahren, das den Betroffenen zusätzlich zur gerichtlichen Klage angeboten wird. Im katholischen Bereich sind die Orden ganz überwiegend längst dabei - das ist sehr wichtig und sollte wirklich wertgeschätzt werden.

Was ist mit anderen Institutionen in der Gesellschaft?

Natürlich wäre es sehr wichtig, dass auch andere gesellschaftliche Gruppen freiwillige und zusätzliche Wege finden, Betroffenen eine Anerkennungsleistung zuzuerkennen, die auf rechtsstaatlichem Wege sonst wohl leer ausgehen könnten.

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