Chefredakteur Markus Nolte über ein System, dessen Fehler die Kirche viel kosten wird

Missbrauchs-Schuld - Nach dem moralischen Bankrott droht der finanzielle

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Nach massiven Austrittszahlen lassen massive Schmerzensgeldzahlungen den Atem stocken - so berechtigt sie sind. Jetzt zeigen sogar staatliche Gerichte die Mitschuld der Verantwortlichen. Die Konsequenzen müssen einmal mehr andere tragen, sagt Chefredakteur Markus Nolte in seinem Kommentar. Das kann lebensbedrohlich werden.

Heftiger könnte das böse Erwachen kaum sein: Die „Einzelfälle“, als die anfangs mancher Bischof Missbrauch in der Kirche lügend verharmloste – sie haben heute das Potenzial, diese Kirche in den Bankrott zu treiben. Nach dem der Moral und der Glaubwürdigkeit nun auch in den finanziellen.

Die inszenierte Unbedarftheit eines „Nichts geahnt, nichts gewusst“, unlängst erst wieder aus dem Mund des Kölner Interims-Chefs Weihbischof Rolf Steinhäuser bekannt geworden – sie hat in Wahrheit die Wucht, das noch so hervorragende, auch gesellschaftliche Engagement der Kirche in Grund und Boden zu stampfen. Die selbstherrliche Behauptung, kirchenfeindliche Medienkampagnen hätten aus Mücken Elefanten gemacht, Missbrauch gebe es mindestens so häufig im Sport, während er in der Kirche zur Durchsetzung von Reformen missbraucht werde – dieser Blenderei nimmt der Rechtsstaat zunehmend ihre Kraft. Tragischerweise nicht nur ihr.

Kollabierende Bistumshaushalte?

Denn der Preis könnte sein, dass nicht nur wegen Mitgliederschwunds und Kirchensteuerrückgangs die Lichter ausgehen, sondern weil „die“ Kirche für die Taten von Missbrauchs­priestern erheblich mehr zahlen muss als bislang.

Im Juni erst wurden in Köln einem Betroffenen 300.000 Euro Schmerzensgeld zugesprochen, eine weitere Betroffene fordert 830.000 Euro. Wenn wahr würde, was laut einem Betroffenen-Anwalt Experten modelliert haben, stünden Gesamtzahlungen zwischen 2,5 und 25 Milliarden Euro im Raum. Das ließe Bistumshaushalte kollabieren. Die Konsequenzen bekämen Gemeinden und Gesellschaft massiv zu spüren.

Gerichte zeigen: Es gibt eine Schuld der Institution

Um das klar zu sagen: Dass die Zahlungen schon vor Gerichtsurteilen deutlich angepasst werden müssen, ist selbstverständlich. Auch der Interventionsbeauftragte des Bistums Münster, Peter Frings, hält das für zwingend. Umso bedenklicher, dass Reformen in Gebaren und Handeln der Unabhängigen Anerkennungs-Kommission über Forderungen nicht hinauskommen.

Es ist beschämend und bezeichnend zugleich: Indem sie die Institution in Mithaftung nehmen, bestätigen Gerichte, dass es nicht nur um die Schuld der Täter geht. Es gibt ebenso strukturelle Schuld, und damit auch eine Schuld derjenigen, die institutionelle Verantwortung trugen und tragen. Nicht nur am Missbrauch und seiner Vertuschung. Auch daran, was die Finanzlast an Kirche-Sein verunmöglicht.

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