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Die Christen sollen sich nach Auffassung des katholischen Theologen Matthias Sellmann nicht vom Skandal um sexualisierte Gewalt entmutigen lassen. "Ich glaube, dass wir gerade durch eine radikale Krise gehen", sagte er der Verlagsgruppe Bistumspresse. "Aber ich glaube auch, dass es gut wäre, durch diese Krise hindurchzuschauen und zu sehen, dass danach noch jede Menge übrigbleibt: der Kern unseres Glaubens und die christliche Botschaft."
Die ideale katholische Kirche ist nach Ansicht des Bochumer Pastoraltheologen fromm, geistlich und weise. Zugleich habe sie alle Reformen verwirklicht, die der Synodale Weg vorschlägt. Dazu gehörten verbindliche Beratungen, Entscheidungen und Wahlen durch Priester und Gläubige, ein anderer Umgang mit Finanzen, mehr Ökumene, Diakoninnen und Priesterinnen.
"Vertuschung hat mit dem System zu tun"
Gleichzeitig würden Mystik, Spiritualität und Orden eine stärkere Rolle spielen als heute, so Sellmann. Zudem engagierten sich Christen noch stärker als Bürger und sprächen frischer und überzeugter über ihren Glauben.
Aktuell dominiert in der Kirche laut Sellmann das "Erschrecken darüber, dass Missbrauch und seine Vertuschung etwas mit dem System von Kirche zu tun haben, nicht mit einzelnen Personen". Hinzu kämen enorme Ratlosigkeit, sehr viel Trauer sowie das Gefühl der Vergeblichkeit. "Viele Menschen strengen sich sehr an, in ihrer Familie, in ihrer Nachbarschaft, in ihrer Gemeinde für gute religiöse Erlebnisse zu sorgen - und merken doch, dass ihre Energien verpuffen."
Er selbst habe viel gelesen, gehört und gesehen, so der Theologe. "Aber nichts hat mich bisher so fasziniert und herausgefordert wie die Geschichten, Gedanken und Taten von Jesus. Ich habe viele Menschen kennengelernt, die Jesus so geprägt hat, dass sie sehr frei, sehr großzügig und sehr unabhängig geworden sind. Das beeindruckt mich."