Der neue Münsteraner Pastoraltheologe zu Kirchenpolitik, Rechtsruck und "Küchentisch-Theologie"

Theologe Christian Bauer: Spiritualisierung von Macht muss beendet werden

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Aktuellen Kirchenthemen stellt sich Christian Bauer nicht nur im Hörsaal, sondern auch in Social Media und in Videos auf Youtube. "Klerikalismus und Synodalität" ist das Thema der Antrittsvorlesung, die der neue Münsteraner Professor für Pastoraltheologie heute Abend hält. Über ein schiefes Kirchenbild von Papst Franziskus, einen radikalisierten Rechtskatholizismus, ein Theologiestudium trotz "kontaminierter Kirchengelände" und den Reiz einer "Küchentischtheologie" spricht er im Interview mit Kirche-und-Leben.de.

Herr Bauer, Sie haben sich für Ihre Antrittsvorlesung ein Thema ausgesucht, das um Klerikalismus und Synodalität kreist. Manche wie auch Papst Franziskus sagen, Synodalität sei das Gebot der Stunde – dürfe aber nicht mit Demokratie verwechselt werden. Zu Recht?

Der frühere Erfurter Bischof Hugo Aufderbeck (1909-1981) hat einmal sehr treffend gesagt: „Kirche ist keine Demokratie, weil nur einer der Herr ist. Und sie ist keine Monarchie, weil alle Schwestern und Brüder sind.“ In dieser Aussage kommt ein Doppelaspekt von Kirche zur Sprache, für den es in der Wortgeschichte unterschiedliche Bezeichnungen gibt. Unser deutsches Wort „Kirche“ etwa stammt vom griechischen „kyriaké“ ab und bedeutet „die, die dem Herrn gehört“. Das heißt auch: Auf den Stuhl des Herrn darf sich kein Mensch setzen. Die andere Wortwurzel ist das ebenfalls griechische „ekklesia“ – wie zum Beispiel im französischen „église“. Das meinte ursprünglich die Versammlung der freien Bürger einer Stadt. Paulus hat diesen politischen Begriff als Erster aufgegriffen, um zu erklären, was Kirche ist: die demokratisch verfasste Bürger:innenversammlung Gottes, zu der dann auch die Frauen, die Sklaven und die Fremden gehören. Bei beidem haben wir in einer Kirche, die in ihrer Geschichte immer auch demokratische Elemente kannte, durchaus noch Entwicklungspotenzial!

Demokratie-Skepsis scheint auch auf, wenn Papst Franziskus immer wieder betont, Synodalität sei ein geistliches Geschehen, wie er überhaupt die Kirche vor allem als geistliche Gemeinschaft versteht. Ein probater Weg, um sich der Diskussion um Macht, Machtmissbrauch, Strukturreformen zu stellen?

Es ist wichtig, Synodalität geistlich zu verstehen, weil das an die Frage nach der Grundhaltung unserer Kirche rührt. Damit stehen wir vor einem spirituellen Problem. Bei Papst Franziskus nehme ich eine gewisse Schieflage im Kirchenbild wahr, die Theologie-Nerds wohl eine monophysitische Ekklesiologie nennen würden (lacht). Anders gesagt: Franziskus betont das geistliche Element in der Kirche und unterschätzt das politische. Das Zweite Vatikanische Konzil hat versucht, beide Dimensionen ins Gleichgewicht zu bringen – und ich meine, das müssten wir auch auf synodalen Wegen versuchen. Ich halte das für unglaublich spannend, weil es ein neues Forschungsfeld für die Theologie eröffnet, nämlich die Kirchenpolitik. Auch diese ist eine geistliche Herausforderung, weil ich mich zu mir selber und zu meiner eigenen Position verhalten können muss. Die Bereitschaft dazu ist allerdings auf der Seite der kirchlichen Rechten kaum vorhanden.

Was meinen Sie konkret?

Es gibt eine Stammesbildung vor allem bei Rechtskatholik:innen, die sich gerade immer weiter radikalisiert. Inzwischen werden Dinge über Papst Franziskus gesagt, die eher reformkatholisch ausgerichtete Menschen unter den restaurativ ausgerichteten Vorgängerpontifikaten nie gesagt hätten. Diese asymmetrische „Tribalisierung“ und ihre Überschneidungen mit der extremen gesellschaftlichen Rechten gälte es, in allen theologischen Disziplinen näher zu untersuchen.

Laien beraten, Kleriker entscheiden, weil sie Amt und Vollmacht haben. Nicht zuletzt der Synodale Weg hat das problematisiert. Welche Alternativen sehen Sie?

Zur Person
Christian Bauer wurde 1973 in Würzburg geboren. Er studierte Theologie in Würzburg, Tübingen und Pune (Indien). Nach Stationen in Tübingen und Bonn wurde er 2012 Professor für Pastoraltheologie und Homiletik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck. 2018 erhielt er deren "Lehreplus-Preis" für exzellente Lehre. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Pastoraltheologie. 2023 war er als Mitglied der Redaktion des theologischen Feuilleton-Portals "feinschwarz.net" Träger des "Herbert-Haag-Preises für Freiheit in der Kirche". Im selben Jahr wurde er zum Professor für Pastoraltheologie und Homiletik an der Katholisch-Theologischen Fakultät Münster ernannt. | mn

Es beginnt mit dem Eingeständnis, dass in der Vollmacht die Macht steckt. Es gibt eine schöne Anekdote, die mir ein alter Münsteraner Pfarrer aus seiner Studienzeit bei Joseph Ratzinger erzählt hat. Als ein Student damals fragte, wie es sich denn mit der Macht in der Kirche verhalte, habe dieser geantwortet: Es gibt keine Macht in der Kirche, sondern nur Vollmacht. Man muss diese Spiritualisierung von Macht beenden, sich ehrlich machen. Die Journalistin Christiane Florin spricht von kirchlicher „Machtscham“. Diese gilt es aufzugeben, um das M-Wort besprechbar zu machen. Denn was nicht angenommen wird, kann auch nicht erlöst werden. Oder profan formuliert: Verdrängtes kehrt durch die Hintertür zurück.

Der Religionssoziologe Detlef Pollack sagte unlängst das Ende der katholischen Kirche voraus, wenn durch Reformen das Machtgefälle zwischen Klerikern und Laien außer Kraft gesetzt würde, weil es zum Wesen der katholischen Kirche gehöre. Für wie reformfähig halten Sie die Kirche?

Die Kirche ist sehr reformfähig. Ich schlage Ihnen eine theologische Lockerungsübung vor: Schauen wir in die Geschichte! Was wir heute für katholisch halten, ist zum großen Teil eine Erfindung des 19. Jahrhunderts. Katholisch war auch schon ganz anders und kann auch wieder ganz anders sein. Das gilt dann auch für das Machtgefälle zwischen Klerikern und Laien. Vor dem Kipppunkt vom zweiten zum dritten Jahrhundert gab es diese Unterscheidung nicht. Wir müssen diese Unterscheidung heute verlernen und Kirche wieder ganz anders denken.

Mehr als eine halbe Million Menschen haben die katholische Kirche 2022 verlassen, ihre personellen und finanziellen Ressourcen schmelzen, gesellschaftliche Relevanz schwindet. – Was lässt Sie mit Lust und Elan junge Theologinnen und Theologen ausbilden?

Ich bin mit Begeisterung Theologe. Denn es geht dabei ja auch nicht nur um die Kirche, also um Ekklesiologie, sondern um Theologie – also um Gott als das unendliche Geheimnis des gesamten menschlichen Lebens. Auf dieser Spur mit jungen Menschen unterwegs zu sein, fasziniert und motiviert mich. Ich habe gerade einen spannenden Modulkurs zur „explorativen Theologie“ gemacht, wo wir nach Spuren Gottes am theologischen Tat-Ort Münster gefahndet haben: Gottes-Profiling in der eigenen Stadt.

Wo haben Sie ihn gefunden?

Die Studierenden waren zum Beispiel auf dem Markt und haben dort ganz erstaunliche Dinge entdeckt und kreativ weitergedacht. Theologie von nichtkirchlichen Lebenswelten her zu entwerfen, das brauchen junge Menschen in Zeiten, in denen Kirche als Arbeitgeberin zunehmend unattraktiv ist, immer mehr – viele von ihnen (und nicht die Schlechtesten!) sind nicht mehr bereit, jene kirchlichen Kompromisse einzugehen, zu denen sich meine Generation noch genötigt gefühlt hat. Da braucht es heute spannende berufliche Alternativen, die nicht nur auf kontaminiertem Kirchengelände stattfinden, sondern mitten in der Gesellschaft. Da Theologie produktiv werden zu lassen, halte ich für zukunftweisend.

Sie sprechen ohnehin immer wieder gern von „Theologie an Andersorten“ – etwa im Fitnesscenter, im Rathaussaal oder auf ein Bier mit interessanten Menschen, sind in den Sozialen Medien wie auf Youtube aktiv. Herr Professor, hat der Hörsaal ausgedient?

Das bestimmt nicht! Aber der Hörsaal darf nicht der einzige Ort sein, an dem Theologie produziert wird. Wir müssen stärker raus aus der Blase, rein ins gelebte Leben und von dorther eine andere Form von Theologie betreiben. Ich habe das selber gelernt: Es genügt nicht, nur an andere Orte zu gehen und dort denselben Stiefel zu machen. Es gilt, nicht nur eine andersortige, sondern auch eine andersartige Theologie zu leben!

Woran denken Sie?

Zum Youtube-Kanal „Theologie am Andersort“ von Christian Bauer geht es hier.

Es geht darum, Gott mitten im Leben in eine suchende, tastende Sprache zu bringen. Ganz so, wie Papst Franziskus es sagt: Theologie entsteht nicht nur am Schreibtisch. Von Studierenden in Münster habe ich den Begriff der „Küchentischtheologie“ gelernt: Theologie hat ihren ersten Ort da, wo die existenziellen Fragen auf den Tisch kommen – wovon leben wir und wofür? Dort ist der Beginn aller Theologie. Und auch ihre Zukunft.

In Köln steht eine Theologische Hochschule des Erzbistums stark in der Diskussion. Warum sollte die Kirche ihren Nachwuchs nicht selbst ausbilden statt dies Fakultäten an staatlichen Universitäten zu überlassen?

Weil Kirche dem Konzil zufolge nicht nur Kirche für sich, sondern Kirche in der Welt von heute ist. Darum kann Theologie auch nicht nur hinter Kirchenmauern entstehen, sondern muss raus in den offenen Diskurs der Universität. Nur in deren Perspektivenvielfalt können junge Leute lernen, was sie später in der Pastoral brauchen: gesprächsfähig zu werden in einer perspektivenpluralen, multisäkularen und multireligiösen Gegenwart. Die Frage in der Pastoral ist: Sprechen wir Gegenwart? Das kann man im offenen Diskurs einer Universität besser lernen als im geschlossenen System einer kirchlichen Hochschule.

Je ein Tipp, bitte: Wie können Gemeinden, Seelsorgende und Generalvikariate von Ihrer Arbeit profitieren?

Ich würde die Frage gern ergänzen: Wie kann ich von Gemeinden, Seelsorgenden und Generalvikariaten profitieren? Meine Arbeit ist ja keine Einbahnstraße! Mir ist der Kontakt mit diesen Akteur:innen ungeheuer wichtig, weil dabei beide etwas lernen können. Ich bin nicht der schlaue Professor, der allen sagt, wie es geht. Darum bin ich gerade dabei, die Diözese zu erkunden – ich war beispielsweise schon mit Leuten von „Maria 2.0“ und auch von der Gemeinschaft Emmanuel im Gespräch, um Witterung aufzunehmen. 

Als gebürtiger Würzburger haben Sie in den letzten Jahren vor allem im Süden gelebt – in Tübingen und zuletzt in Innsbruck. Jetzt beginnen Sie im halbhohen Norden in Münster. Was hat Sie gereizt?

Ich nehme Münster weniger als Norden wahr, sondern mehr als Westen. Das ist auch deshalb schön, weil wir Freunde in den Niederlanden haben und ich seit Jahren Borussia-Dortmund-Fan bin (lacht). Und natürlich beflügelt es mich sehr, an einer der weltweit bedeutendsten theologischen Fakultäten zu arbeiten. Nicht zuletzt der künftige Campus der Religionen zeigt: Münster ist ein Ort, wo Theologie auch in Jahrzehnten noch Kraft haben wird, während andernorts vielleicht die Lichter ausgemacht werden. Dieses Versprechen von Zukunft hat mich sehr motiviert, den Ruf in den „halbhohen Norden“ anzunehmen.

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