Themenwoche Seelsorge auf Rädern (3): Experten-Interview

Matthias Sellmann: Kirche mit Nachholbedarf bei der „Geh-Hin-Struktur“

Anzeige

Es mehren sich Angebote, bei denen Seelsorger mit Fahrzeugen zu belebten Orten fahren, um die Menschen zu erreichen. Der Bochumer Pastoraltheologe Matthias Sellmann sieht einen Nachholbedarf der Kirche für diesen Weg.

Herr Sellmann, warum ist es heute wichtig, dass Kirche mobil wird – auf die Menschen „zurollt“?

Es ist generell so, dass Kirche die Aufmerksamkeit der Menschen heute neu verdienen muss. Eigentlich lautet die Aufgabe, neu Vertrauen einzuwerben. Aber dafür muss man erst einmal präsent sein, „committed“ sein, positiv wahrnehmbar sein. Und zwar dort, wo die Menschen selbst sind: also auf den Radwegen, in den Fußgängerzonen, den Marktplätzen, den Festivals … Kirche sollte als kreativ erlebt werden, als nahbar, unkompliziert, relevant, fokussiert auf das Wesentliche. Und das zeigt man durch Nähe, Investment und überraschende Nützlichkeit. Mobile Pastoral sollte durch solche Agilität gekennzeichnet sein.

Eigentlich ist der Weg hin zu den Menschen etwas Ureigenes der Kirche – Jesus hat es vorgelebt. Hat Kirche das im Laufe der Zeit verlernt?

Klassisch ist das Bild von Kirche von einer Konzentration auf die Gemeinde geprägt. Die Ideale sind hier etwa der wohnortnahe Gottesdienst, der Pfarrer in der Nachbarschaft, die Gruppe im Pfarrheim. Das war ein Modell von Kirche, das viele Jahrzehnte für viele Menschen sehr viel geleistet hat. Heute kommt diese Idee von Gemeinde in erhebliche Probleme. Eines ist die Komm-Struktur des Modells. Eine Geh-Hin-Struktur muss in der Tat neu gelernt werden.

Wie niederschwellig darf Kirche dabei werden, um kein „x-beliebiges“ Angebot zu werden?

Themenwoche Seelsorge auf Rädern:
Wie sieht zeitgemäße Seelsorge anhand von hohen Kirchenaustrittszahlen und niedrigen Zahlen an regelmäßigen Gottesdienstbesuchenden aus? Darüber machen sich viele Pfarreien im Bistum Münster Gedanken. Kirche-und-Leben.de stellt Projekte vor und spricht mit einem Experten. In Folge 3 erklärt Theologe Matthias Sellmann, wie sich mobile Pastoral entwickeln könnte.

Als Kirche bin ich dann erkennbar, wenn ich nicht ängstlich auf mich und mein sogenanntes „Profil“ schiele, sondern wenn – so sagt es sinngemäß sehr schön der Kölner Theologe Hans-Joachim Höhn – in meinem Umkreis alle größer und bedeutender werden. Es geht nicht um Nieder- oder Höherschwelligkeit, sondern darum, ob dieser großzügige Geist des Evangeliums mit anderen zusammen kulturprägend wird. Es steht Kirche gut an, als neugierig erlebt zu werden, als hörend, mitgehend, nachfragend. Und mobile Pastoral verleugnet ja nicht, dass sie von Jesus her inspiriert ist. Nur wird sie wohl öfter das „Zeugnis des Lebens“ als das „Zeugnis des Wortes“ zu geben haben. Wie immer sollte auch hier gelten: An ihren Früchten sollte man sie erkennen.

Buchtipp:
Gemeinsam mit dem Leiter der Touristenpastoral Rhön, Björn Hirsch, hat der Bochumer Pastoraltheologe Matthias Sellmann das Arbeitsbuch „Kirche auf die Straße bringen – Möglichkeiten einer mobilen Pastoral am Beispiel des Churchbikes“ herausgegeben:
Kirche auf die Straße bringen
Reihe Tool-Books Kirchenentwicklung, Band 3
Echter Verlag, 2023
ISBN 978-3-429-05896-8
Das Buch können Sie hier bequem über unseren Partner Dialogversand bestellen.

Anzeige