Was folgt aus der Kirchenmitgliedschafts-Untersuchung?

Studien-Beirat Loffeld: Womit Kirche überhaupt noch punkten kann

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Jan Loffeld, Theologieprofessor in Utrecht und Priester des Bistums Münster, ist Wissenschaftlicher Beirat der Kirchenmitgliedschafts-Untersuchung. Er sagt, was aus den Ergebnissen folgen muss, warum das personale Angebot wichtiger ist als alle Strukturen – und was ihm trotz aller Rückgänge Hoffnung macht.

Die Kirchenmitgliedschafts-Untersuchung (KMU) sieht die katholische Kirche an einem Kipppunkt: Innerhalb der nächsten 15 Jahre könnte sich demnach die Zahl der Katholikinnen und Katholiken in Deutschland halbieren. Wie ernst sehen Sie die Lage?

Die Studie zeigt, wie die seit Jahrzehnten stattfindenden Säkularisierungsschübe nicht mehr übersehbar sind. Hier liegt meines Erachtens der Kipppunkt, der katholischerseits durch die multiple Kirchenkrise verstärkt wird.

Interessant ist: Das Institutionenvertrauen in die katholische Kirche ist zwar beinahe am Nullpunkt, dennoch schätzen und nutzen Menschen kirchliche Angebote. Mehr als 70 Prozent der Deutschen hatten innerhalb eines Jahres Kontakt mit den Kirchen – was die Säkularisierung allerdings weder evangelischer- noch katholischerseits abbremst. Kirchliches Engagement wird immer weniger als Präsenz des Evangeliums verstanden, die existenzielle Fragen wachruft oder Menschen zwingend dauerhaft bindet.

Was ist für Sie das wichtigste Ergebnis der Untersuchung mit Blick auf die katholische Kirche?

Die Studie zeigt ebenso wie aktuelle internationale Untersuchungen, dass wir vorsichtig sein sollten, Menschen – auch durch die Hintertür über Begriffe wie Spiritualität oder Sinnsuche – als natürlich religiös aufzufassen. Diese Einsicht kann pastorale Entlastungseffekte haben.

Außerdem: Die Kirche punktet vor allem mit dem, was die Religionssoziologie „sekundäre Religionsvorteile“ nennt: Gemeinschaftserfahrungen, Caritas, Wertevermittlung, Bildung. Das ist sehr erfreulich, zugleich sollte man sich ehrlich machen. Denn Religion und Kirche sind in fast all diesen Bereichen ersetzbar, wie ein Blick nach Skandinavien oder in die Niederlande zeigt. In diesen weitgehend entkirchlichten Ländern fühlen sich die Menschen sogar als die glücklichsten weltweit.

Für die Zukunft könnte daher folgende Frage wichtig werden: Welchen Mehrwert trägt die Kirche in unser gesellschaftliches Zusammenleben – gerade, wenn wir weniger werden? Von der Beantwortung dieser Frage, bei der eine Diskussion unterschiedlicher Kirchenbilder unausweichlich ist, wird künftig etwa eine verantwortete Verteilung der Ressourcen abhängen.

Welche Erkenntnis hat Sie am meisten überrascht?

Die Tatsache, dass – wenn man einen Teil des distanziert-kirchlichen Segments dazu nimmt – 65 Prozent der Deutschen als „säkular“ bezeichnet werden können. Für sie spielt Religion, gleich welcher Art, in der Lebensführung nahezu keine Rolle. 36 Prozent von ihnen lassen sich sogar als „säkular-geschlossen“ beschreiben. Das meint, dass sie jegliche Religiosität als etwas kulturell Fremdes empfinden, das es nicht mehr braucht und worauf sie apathisch reagieren. Das schnelle Anwachsen dieser – jungen – Gruppen in ganz Deutschland sollte religionspolitisch sehr ernst genommen werden.

Was bedeuten die Erkenntnisse für die diversen kirchlichen Strukturveränderungspläne – auch im Bistum Münster?

Wenn die Basisarbeit etwa in Gemeinden oder kategorialen Strukturen – im Gegensatz zur Kirche als Ganzer – so positiv bewertet wird, müssten wir dieses „Pfund“ deutlicher wertschätzen und mit Abwertungen oder Schuldzuweisungen sehr vorsichtig sein. Bei aller Notwendigkeit der Transformation: Sie sollte nicht allein administrativen oder juristischen Kriterien folgen, sondern realisieren, dass das personale Angebot vor aller Struktur die wichtigste kirchliche Ressource ist. Wenn der überwiegende Teil der Deutschen sagt, dass sie gute Erfahrungen mit uns machen, sollten wir es auch irgendwann glauben. Zugleich zeigen Vergleichsstudien, dass inmitten des säkularisierenden Großtrends ein gemeinschaftlich rückgebundener Glaube die besten Chancen hat, in die nächste Generation überzugehen.

Ohne mehr Demokratie und Gleichberechtigung für Frauen wird es noch dramatischer, sagt die neue Studie. Darüber entscheidet aber niemand hierzulande, sondern Rom und die Weltkiche. Nach Reformen sieht es da nicht aus. Gibt es also keine Chance auf Rettung?

Ich vertraue sehr darauf, dass wir synodal zu neuen Lösungen kommen werden. Das ist absolut notwendig. Zugleich kann Vertrauen entsprechend der Daten nur zurückgewonnen werden, wenn die Kirche ihre Schuld glaubwürdig bekennt und sie aufarbeitet.

Zudem zeigt die Studie im interkonfessionellen Vergleich, dass – wenn wir alle katholischen Kirchenprobleme gelöst hätten – mit hoher Wahrscheinlichkeit andere Austrittsgründe – wie heute schon die Irrelevanz des Glaubens bei evangelischen Christ:innen – auch katholischerseits entscheidender werden. Denn die Bedeutung des Glaubens ist bereits heute in beiden Konfessionen gleich niedrig.

Was gibt Ihnen persönlich – auch als Priester – Hoffnung?

Ich erlebe in den Niederlanden ein Christentum, das den Kipppunkt hinter sich hat. Das kann gelassen machen. Seit einigen Jahren steigen kontinuierlich die Zahlen von Erwachsenentaufen beziehungsweise Konversionen und die Zahl der Theologiestudierenden an unserer Fakultät. Wenn auch hier nicht alles rosig ist, denke ich: Eine Kirche, die die Angst um sich selbst aufgegeben hat, lernt, dass es ein Christentum auch nach einer gesellschaftspolitischen Relevanz und als Minderheit geben kann, die ihren Auftrag für das Ganze inklusiv und auf neue Weise erfüllt.

Dr. theol. habil. Jan Loffeld, 1975 geboren und 2003 zum Priester für das Bistum Münster geweiht, ist Professor für Praktische Theologie an der „School of Catholic Theology“ im niederländischen Utrecht, die zur „Tilburg University“ gehört. Seit 2021 ist er als katholischer Fachvertreter Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der „Kirchenmitgliedschafts-Untersuchung“, die diesmal erstmals in ökumenischer Zusammenarbeit zwischen Evangelischer Kirche in Deutschland und katholischer Deutscher Bischofskonferenz durchgeführt wurde. | jjo.

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