Themenwoche: Kirchenaustritt – vor und nach der Schwelle (3)

„Gemeinden grundsätzlich infragestellen, um Kirchenferne zu erreichen“

Anzeige

Auch interessierte kirchenferne Gläubige ansprechen möchte die Pfarrei St. Clemens in Hiltrup und Amelsbüren im Süden von Münster. Pastoralreferent Stefan Leibold erklärt im Kirche-Leben-Gespräch, wie und warum sich die Pfarrei neu aufstellen muss.

Herr Leibold, warum sind Angebote für kirchenferne Christen wichtig?

Zunächst würde ich die Gruppe der „kirchenfernen Christen“ differenzieren: Zum einen gibt es Menschen, die sich zwar als christlich beziehungsweise katholisch verstehen, aber mit der Institution Kirche nicht oder nicht mehr viel anfangen können. Zum anderen gibt es Menschen, die sich nicht als christlich bezeichnen würden und vielleicht auch keine Mitglieder sind, aber für Kontakt mit christlichen Akteuren und Ideen zumindest offen sind. Beide Gruppen sind meiner Erfahrung nach grundsätzlich ansprechbar, aber kaum im Fokus.

Worauf sollte eine Pfarrei achten?

Kirchenaustritt – vor und nach der Schwelle
Immer mehr Menschen verlassen die Kirche, obwohl sie eigentlich innerlich sehr mit ihr verbunden waren – und womöglich nach wie vor sind.  Wir haben für unsere Themenwoche mit Menschen vor und nach so einer Entscheidung gesprochen. Und wir lassen Pfarrer Jan Magunski zu Wort kommen, der in einem City-Kirchenprojekt in der Diaspora-Stadt Oldenburg versucht, die Türen für alle weit offen zu halten.

Die Einschätzung des Autoren Erik Flügge, dass Gemeinden „90 Prozent ihrer Energie für zehn Prozent der Kirchenmitglieder“ aufwenden, stimmt sicherlich. Auch meine Pfarrei St. Clemens Hiltrup-Amelsbüren bedient in erster Linie die klassische Klientel, die größtenteils katholisch und kirchlich sozialisiert ist, aber allmählich zahlenmäßig abnimmt. Wenn Gemeinden sich aber fast ausschließlich auf die traditionelle Klientel konzentrieren und ihre Angebote so ausrichten wie in den letzten Jahrzehnten, werden sie am Ende die bestehenden Gemeinden nur beim Sterben begleiten. Das muss man so hart sagen. Das ist keine sinnvolle Perspektive. Deshalb müssen Gemeinden sich generell infragestellen und sich im Geist des Evangeliums neu erfinden, insbesondere im Blick auf die „Kirchenfernen guten Willens“.  

Welche Ideen gibt es für neue Angebote in St. Clemens?

Sinnvoll fände ich „city-pastorale“ Angebote, die offen und niedrigschwellig sind. Ein Café, in dem man Kaffee bekommt, in dem man auch quatschen und Ruhe finden kann. Ein Stammtisch, wo Menschen über aktuelle Fragen debattieren können und wo auch Christen um angemessene Antworten auf drängende Fragen der Zeit ringen. Eine gemeinsame Konzeption von Kulturveranstaltungen mit Partnern vor Ort wäre schön. Wir können sicher mehr Raum anbieten für spirituelle Erfahrungen und religiöse Bildung für Menschen, die neugierig sind – in angemessenen Formen. Das Wichtigste ist, Raum und Zeit für Ideen zu geben, die einfach mal ausprobiert werden können und auch scheitern dürfen.

Was wird aus den traditionellen Angeboten?

Ich habe den Eindruck, dass bei den traditionellen niedrigschwelligen Angeboten, die über die Gemeinde angeboten werden, wie Sommerlager und Freizeiten, Krippenspiele und Sternsingeraktion auch Familien kommen, die keine klassische kirchliche Sozialisation haben. Sie können dabei feststellen, dass es in der Kirchengemeinde nette und normale Leute gibt. Das ist viel wert! Bei Trauergesprächen und -feiern kommen wir auch mit Menschen von außerhalb unserer "Blase" in Berührung. Das empfinde ich als sehr bereichernd.

Wo bleibt die Kerngemeinde?

Wir müssen insgesamt ernsthaft überlegen, ob wir so viel Energie wie bisher in klassische Gottesdienste und die Vorbereitung auf den Empfang von Sakramenten stecken. Nicht wenige Menschen nehmen bei Taufe, Trauung, Erstkommunion und Firmung gern die angebotene Dienstleistung in Anspruch, könnten aber auf den religiösen Charakter eher verzichten. Das gilt natürlich nicht für alle. Aber wir sollten hier auch Wege anbieten, die Menschen berühren, aber nicht unbedingt zum Sakrament führen, und uns Hauptamtliche für Anderes entlasten.

Wo steht St. Clemens aktuell?

St. Clemens ist bei der Neuorientierung erst am Anfang des Prozesses. Auch wenn wir erste Schritte gegangen sind, in dem wir einige Messen durch alternative Gottesdienstformate, die in der Regel Ehrenamtliche organisieren, ersetzt haben. Das kann aber nur der Anfang sein. Wir sollten uns beim nötigen Ausprobieren von neuen Formen und Ideen nicht durch von oben festgesetzte reine Strukturprozesse ablenken lassen. Eins ist wichtig: Wir müssen die Reste von Paternalismus, Herrschaft und Autorität ablegen, die viele Menschen in der Kirche erlebt haben und damit immer noch verbinden.

Anzeige