Kirchen legen gemeinsame Studie vor

Katholische Kirche am Kipppunkt: Halbierung viel schneller als erwartet

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Was denken Katholikinnen und Katholiken über ihre Kirche? Das hat eine große bundesweite Studie erforscht. Die Ergebnisse sind dramatisch und geben Grund zu größter Sorge – zeigen aber auch: Die meisten wollen, dass es mit der Kirche weitergeht.

Die katholische Kirche in Deutschland ist an einem „Kipppunkt“ angelangt, der in den kommenden Jahren zu weitaus größeren und deutlich schneller eintretenden Abbrüchen führen kann als bislang befürchtet. Das diagnostiziert die am Dienstag veröffentlichte „Kirchenmitgliedschafts-Untersuchung“ (KMU). Sie wird seit 1972 alle zehn Jahre von der Evangelischen Kirche in Deutschland durchgeführt, erstmals ist nun auch die katholische Kirche beteiligt.

Die vom Meinungsforschungsinstitut Forsa unter 5252 Befragten repräsentativ durchgeführte Studie geht davon aus, dass sich die Zahl der Christen in Deutschland durch Kirchenaustritte spätestens bis 2040 halbiert. Das wäre 20 Jahre früher als eine Studie der Uni Freiburg von 2019 prognostiziert, die viele Bistümer für pastorale und finanzielle Strategien zugrunde gelegt haben. Damit nicht genug: Die KMU sieht eine „Dynamik, die sich bei der katholischen Kirche gegebenenfalls sogar noch schneller vollziehen könnte“.

Katholiken mit Zorn und Wut über eigene Kirche

Weitere Hintergründe zur Kirchenmitgliedschafts-Untersuchung auf der Internetseite der EKD.

Fakt ist, dass die Kirchenbindung der Christinnen und Christen in Deutschland rapide sinkt. Der „dramatische Abwärtstrend“ habe sich bei katholischen Kirchenmitgliedern noch verschärft: Nur noch 27 Prozent schließen einen Kirchenaustritt für sich aus, so die neue Studie. Während Protestanten vor allem Gleichgültigkeit gegenüber Religion und Kirche als potenziellen Austrittsgrund angeben, spielen bei Katholiken „Zorn und Wut über die eigene Kirche“ eine deutlich größere Rolle – konkret „Ärger über Mitarbeitende der Kirche und kirchliche Stellungnahmen, über die Ungleichbehandlung von Frauen, hierarchische und undemokratische Strukturen, Unglaubwürdigkeit“.

Trotzdem ist ein Großteil der Katholiken offenbar derart mit der Kirche verbunden, dass sie ihr noch Chancen einräumen. Dazu müsste sie allerdings „deutlicher bekennen, wie viel Schuld sie auf sich geladen hat“, fordern 77 Prozent. Zwei Drittel sagen: „Ich würde nicht austreten, wenn sich die Kirche radikal reformiert.“

Forderung: Führungspositionen demokratisch wählen

Dass dazu Priestern die Heirat erlaubt werden soll, befürworten 95 Prozent aller formal eingetragenen Katholiken und auch 89 Prozent aller praktizierenden („religiösen“) Katholiken. Der Aussage, Führungspositionen in der Kirche sollten durch die Mitglieder demokratisch gewählt werden können, stimmen 87 Prozent aller Katholiken „eher“ oder voll zu.

36 Prozent – die im Vergleich relative Mehrheit – fühlen sich mit der Kirche verbunden, „auch wenn ich ihr in vielen Dingen kritisch gegenüberstehe“. 32 Prozent sehen sich als Christen, „aber die Kirche bedeutet mir nicht viel“. Nur vier Prozent sagen: „Ich bin gläubiges Mitglied der Kirche und fühle mich mit ihr eng verbunden.“

Eng verbunden mit örtlicher Kirchengemeinde

Am meisten sind Katholiken mit ihrer örtlichen Kirchengemeinde verbunden (55 Prozent). Am bedeutsamsten ist der Kontakt zu dortigen Seelsorgenden: 73 Prozent geben an, den Namen ihres Pfarrers oder anderer Seelsorgender zu kennen. Kaum Verbundenheit gibt es mit der Größenordnung „Bistum“ (acht Prozent), an letzter Stelle mit dem Papst (sechs Prozent).

Als Grund für ihre Mitgliedschaft nennen die meisten den Einsatz der Kirche für Solidarität und Gerechtigkeit, für Arme, Kranke und Bedürftige und ausdrücklich auch für Flüchtlinge. Wenige erwarten von der Kirche „Heiliges“ oder spirituelle Impulse.

Reichweite der Kirche in die Gesellschaft bleibt hoch

Wer in den Gottesdienst geht, auch hier bei sinkender Tendenz, erwartet zu 81 Prozent „ästhetisch ansprechende“ Kirchenräume, Musik, Atmosphäre, gefolgt von einer guten Predigt (70 Prozent). Glaubensstärkung wünschen sich 54 Prozent, Gemeinschaft 45 Prozent. Die Studie folgert: „Eine Steigerung ihrer Attraktivität kann die Kirche ... nicht über rein religiöse Aktivitäten gewinnen.“

Dennoch ist laut KMU die Reichweite der Kirche in die Gesellschaft bleibend hoch. Jugendarbeit, Religionsunterricht, Bildungs- und Beratungsangebote werden hoch angesehen, auch Taufe, kirchliche Trauung und Beerdigung erfahren unverändert hohe Wertschätzung.

Gleichwohl sinkt die Religiosität der Deutschen insgesamt – und ebenso die der Katholiken: Zwei Drittel der katholischen Kirchenmitglieder teilen ein auf Jesus Christus bezogenes Gottesbild nicht. Dies sei ein Indiz dafür, „dass derzeit nicht nur eine Krise der Organisation Kirche zu beobachten ist, sondern der tradierte christliche Gottesglaube selbst in eine Krise geraten ist“, so die neue Studie.

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