Leitartikel des Generalvikars des Bistums Münster zu Reformen, Austritten, Relevanzverlust

Winterkamp zu Kirchenentwicklung 2024: Es bleibt bei Veränderung

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Einen rasanten Rückschritt der Mitgliederzahlen hat die jüngste Kirchenmitgliederuntersuchung prognostiziert. Im Bistum Münster gelten seit gestern neue Strukturen. Wie sieht die Zukunft der Kirche aus? Ein Leitartikel von Generalvikar Klaus Winterkamp.

Wie das alte Jahr mit Rückblicken zu Ende geht, beginnt das neue mit Ausblicken, Prognosen und ab und an auch Horoskopen. Wirtschaftsweise geben Einschätzungen von sich, wie sich das Jahr wirtschaftlich entwickeln könnte; Steuerschätzer, was finanziell dabei heraus kommen könnte. Mir persönlich ist es nicht vergönnt, in die Zukunft zu blicken – auch nicht als Generalvikar. 

Wenn ich doch danach gefragt werde, wohin es mit der Kirche im Bistum Münster in den nächsten Jahren gehen werde, weiß ich definitiv nur zu sagen, dass es bei  Veränderung bleiben wird. Alles andere ist unredlich und bestenfalls Sience Fiction. Auch am Anfang des letzten Jahres hätte niemand für möglich gehalten oder voraussagen können, wo wir jetzt stehen – dafür könnte ich weltpolitisch zum Beispiel auf den Gazastreifen verweisen oder in unserer Kirche auf die Zulassung der Segnung von gleichgeschlechtlichen Paaren durch den Vatikan Mitte Dezember.

Wenig überraschende Ergebnisse

Sowohl weltkirchlich als auch was die Situation der Kirche in Deutschland betrifft und auch bei uns im Bistum wird es 2024 bei Veränderung bleiben – bei uns wird das am ehesten durch die Einführung der Pastoralen Räume spürbar werden. Bundesweit haben jüngst die Ergebnisse der Kirchenmitgliedschafts-Untersuchung schwarz auf weiß die Veränderungen und Entwicklungen der letzten Jahrzehnte bestätigt. 

Mich persönlich haben diese Ergebnisse wenig überrascht. Schon seit mehr als vier Dekaden nämlich erleben viele Eltern und Großeltern, dass der Glaube, der ihnen selbst unendlich viel bedeutet und den sie mit aller Überzeugung ihren Kindern und Kindeskindern weiterzugeben versuchten, diesen für ihr Leben und ihren Alltag heutzutage oft vollkommen unwichtig erscheint. Abertausende Katechetinnen und Katecheten nehmen mit wachsendem Frust wahr, dass ihr nicht selten monatelanges Engagement in der Vermittlung unseres Glaubens langfristig offenbar ohne spürbare Folgen bleibt. 

Epochale Krise

Journalisten wichtiger Tageszeitungen – keineswegs nur Christen – kommentieren erschrocken den vielgestaltigen Bedeutungsverlust des Glaubens und der Kirchen für das gesellschaftliche Zusammenleben in Deutschland und Europa. Seelsorgerinnen und Seelsorger beobachten teils seit Jahrzehnten die immer gleichen Phänomene: kontinuierlich abnehmender Gottesdienstbesuch, stetiges Nachlassen des religiösen Lebens, Überalterung in Gruppen, Vereinen und Verbänden, immer geringere Identifikation mit christlichen Idealen, Vorstellungen und Leitlinien in den kirchlichen Einrichtungen, fehlender Nachwuchs in allen Bereichen kirchlichen Lebens bis weit in die eigenen Reihen hinein. 

Die mit diesen Stichworten charakterisierte Krise der uns vertrauten Sozialgestalt von Kirche beginnt nicht erst mit dem Bekanntwerden der Fälle sexuellen Missbrauchs. Das bundes- und weltweite Bekanntwerden vieler Fälle von Missbrauch und Gewalt und nicht zuletzt der innerkirchliche Umgang hiermit machen nur das epochale Ausmaß einer Krise offenkundig, die selbst bei weitem früher einsetzt, viel tiefer und grundlegender ist als uns womöglich lieb sein könnte, und zunächst einmal – das muss ganz deutlich gesagt werden – auch keine rein katholische Krise ist. Auch die bereits 2015 unter den Katholikinnen und Katholiken im Bistum Münster durchgeführte Befragung kam bereits zu ganz ähnlichen Ergebnissen wie die im Herbst 2023 veröffentliche Kirchenmitgliedschafts-Untersuchung.

Ist das alles wirklich nur dramatisch?

Der Religionssoziologe Detlef Pollack diagnostiziert: „Der Internationale und umfassende Niedergang der Religionen seit dem Zweiten Weltkrieg ist historisch beispielslos, in Westeuropa finden wir allenfalls punktuelle Gegentendenzen. Dabei geht die Säkularisierung in allen Ländern auf ähnliche Gründe zurück: Individualisierung, wachsendes Wohlstandsniveau, ein breites Konsum- und Freizeitangebot und ein hohes Maß an weltanschaulicher Vielfalt.“

Daher werden wir einen Großteil dieser Veränderungen – egal, was wir tun – nicht aufhalten können. Ist das aber wirklich nur dramatisch und katastrophal? Theologisch bin ich der Auffassung, dass jede Krise, die es im Laufe der Geschichte der Kirche und des Christentums gegeben hat und gibt, nur dazu dient, eine evangeliums- oder auch offenbarungsgemäßere Gestalt von Kirche und Christentum hervorzubringen. 

Eine Kirche, der Menschen wieder vertrauen können

Quantitativ wird die uns vertraute Gestalt von Kirche abnehmen. Aber auch eine solche Kirche kann durchaus eine kraftvolle Kirche sein. Sie wird eine Kirche sein, die weiterhin in Wort und Tat das Evangelium verkündet. Sie wird eine Kirche sein, die für die Menschen da ist. Sie wird eine Kirche sein, in die Menschen wieder Vertrauen gewinnen können. Sie wird eine Kirche sein, die sich in die gesellschaftlichen Diskussionen einmischt und für Solidarität und Gerechtigkeit wirbt.

So gut es eben geht, versuchen wir die Veränderungen, denen wir als Kirche in der Bundesrepublik und als Weltkirche ausgesetzt sind, im Bistum Münster zu gestalten. Die Pastoralen Räume sind eine Reaktion auf diese und angesichts dieser Veränderung – übrigens wahrhaftig keine Revolution, wie ein Blick in andere Bistümer zeigt. Sicher passen die Wege nicht allen. Das ist ganz normal. Aber wir treffen Entscheidungen, damit die Verkündigung der Frohen Botschaft auch in Zukunft und unter – im Vergleich zu den oben schon skizzierten – noch deutlich veränderteren Rahmenbedingungen gut möglich sein wird. 

Ich bin absolut zuversichtlich

Und das wird sie! Da bin ich absolut zuversichtlich, denn die Botschaft, die wir haben, ist so sensationell, dass Menschen sich auch in Zukunft davon begeistern lassen werden. Sicher werden das in Deutschland weniger Menschen sein. Und als Institution werden wir weniger personelle und finanzielle Ressourcen haben. 

Aber solche Veränderungen gab es – wie gesagt – immer wieder in der Geschichte des Christentums und der Kirche. Die aktuellen Veränderungen sollten uns alle, die wir an Jesus Christus und seine befreiende und froh machende Botschaft glauben, nicht entmutigen. Er hat uns nicht verheißen, Masse zu sein – er hat uns nur verheißen, Salz zu sein. Und wer auch nur ein wenig kocht, weiß, dass Salz unter den Zutaten meistens quantitativ ziemlich gering ist.

Wir werden Manches lassen müssen

Daher sehe ich angesichts der jüngst veröffentlichten Zahlen für das Bistum Münster keinen Grund für Aktionismus, weder in finanzieller noch in pastoraler Hinsicht. Wir sind im Bistum Münster längst dabei, die Veränderungsprozesse, in denen wir stehen, zu gestalten. Dabei werden wir als katholische Kirche im Bistum Münster in Zukunft nicht mehr alle die Aufgaben wahrnehmen können, die wir bisher wahrnehmen – um das sagen zu können, bedarf es auch keiner prophetischen oder hellseherischen Fähigkeiten. 

Wir werden Manches sein lassen müssen. Das wird teilweise örtlich sehr differenziert ausfallen und für die Menschen, die sich in diesen Angeboten engagieren oder die diese nutzen, schmerzhaft werden. Das möchte ich nicht schönreden. Eine Setzung von Prioritäten und Posterioritäten ist aber alternativlos. Das wird die katholische Kirche in Deutschland und im Bistum Münster ohne Zweifel verändern – es wird aber nichts an der Frohen Botschaft verändern. Und auf diese kommt es an, und sie wird auch weiterhin verkündet werden!

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