Diskussion in Ahlen über Situation und Perspektive der Kirche

Generalvikar Winterkamp ermutigt zu einer bunteren, zeitgemäßen Kirche

  • Zur aktuellen Situation der katholischen Kirche in Deutschland hat Münsters Generalvikar Klaus Winterkamp Stellung bezogen.
  • Bei einer Diskussion in Ahlen äußerte er sich auch zu den Brandthemen Missbrauch, Zölibat und Frauenpriestertum.
  • Die Gläubigen rief er dazu auf, zuversichtlich in einer vielfältigeren Kirche engagiert zu bleiben.

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Nein, die katholische Kirche sei aktuell und auch in der Vergangenheit nicht an einem toten Punkt gewesen. Ganz entschieden hat der Münsteraner Generalvikar Klaus Winterkamp dieser These des Münchner Kardinals Reinhard Marx bei einer Veranstaltung in der Familienbildungsstätte in Ahlen am Mittwochabend widersprochen. Wahr sei allerdings, dass man in Deutschland bei der Ausübung des kirchlichen Amtes an einen toten Punkt gekommen sei.

Die verfasste Gestalt der Kirche werde sich verändern, aber nicht die Frohe Botschaft, betonte Winterkamp. „Bleiben Sie bitte gelassen und zuversichtlich“, appellierte er an die Zuhörer, die auf Einladung des Pfarreirates von St. Bartholomäus gekommen waren. Gegen Krisenphänomene wie die demografische Entwicklung und die Megatrends in einer globalisierten Welt wie etwa die Digitalisierung könne die Kirche nicht anarbeiten. Die Großwetterlage beschrieb Winterkamp als bescheiden. Gleichwohl habe die katholische Kirche vor Ort hohe Bedeutung, und ihre Angebote würden positiv wahrgenommen, beispielsweise im Bildungsbereich.

„Es ist nicht mehr wie 1992“

Im Schatten der Türme von St. Marien, wo Winterkamp nach seiner Priesterweihe 1992 seine erste Kaplanstelle angetreten hatte, rief er dazu auf, den Glauben zeitgemäß zu leben. Die Gestalt von Kirche werde bunter und vielfältiger sein. „Wir müssen weg von quantitativen Fragestellungen“, sagte Winterkamp und erinnerte sich an die Zeit, als das rechte Kirchenschiff in St. Marien noch mit vielen Kindern und Jugendlichen gefüllt war. „Wir müssen uns von diesem nostalgischen Blick verabschieden. Es ist nicht mehr wie 1992.“ Das gelte es nüchtern und auch in Trauerprozessen, aber nicht resignativ zur Kenntnis zu nehmen.

Zugleich forderte Winterkamp dazu auf, sich nicht gegenseitig das Christsein abzusprechen, sondern den Glauben aus der Botschaft Jesu zu leben. „Wir haben das Heilige nicht verloren, wir sind vielmehr eine Gemeinschaft von Heiligen, die allerdings immer nur bruchstückhaft auf dem Weg ist und nicht vollkommen ist.“

Begrenzte Amtszeiten, Zölibat, Frauenweihe

Winterkamp ermutigte dazu, "Salz der Erde" zu bleiben. „Warum warten Sie immer auf Lösungen von oben?“ Es gebe nicht die eine Lösung für das Bistum Münster. „Sie gestalten Ihr Christsein vor Ort doch jetzt schon sehr individuell!“ Die Menschen suchten nach wie vor nach Sinn. Dafür müsse die Kirche passende und niedrigschwellige Angebote machen.

Viele, auch institutionelle Probleme der Kirche seien hausgemacht, mit dem Synodalem Weg sei man auf einem erfolgversprechenden Reformkurs. Der Generalvikar sprach sich klar für eine zeitliche Begrenzung von Ämtern auf allen Ebenen auf höchstens zwölf Jahren aus. Und er machte auch deutlich, dass es aus seiner Sicht keine theologisch tragfähige Begründung dafür gebe, Frauen vom Priestertum auszuschließen. Auch in der Frage des Zölibats müsse sich die Kirche öffnen. Dies alles aber könne nicht im Alleingang in Deutschland beschlossen, sondern nur für die Weltkirche geregelt werden.

Kritik an Missbrauchs-Aufarbeitung

PublikumAngeregt diskutierte das Publikum in der Familienbildungsstätte Ahlen mit Generalvikar Klaus Winterkamp aus Münster über die Situation der Kirche. | Foto: Maria Kessing

Im Anschluss an Winterkamps Ausführungen war Gelegenheit zum Austausch über viele aktuelle Fragen rund um die katholische Kirche. Wie sehr das Thema Missbrauch viele Katholiken beschäftigt, wurde in mehreren Wortmeldungen deutlich. Es sei unfassbar, dass die Kirche so lange für die Aufarbeitung brauche, kritisierte eine Zuhörerin.

Winterkamp verwies auf die für den 13. Juni angekündigte Veröffentlichung eines Gutachtens der Universität Münster, das den Umgang des Bistums mit Missbrauch zwar im Auftrag der Diözese, aber doch unabhängig untersucht. Schon das Zwischenergebnis der Historiker im Dezember 2020 habe gezeigt, wie Bistumsleitungen seit 1945 Schuld auf sich geladen hätten.

1,15 Millionen Schuldenausgleich für einen Priester?

Gleichwohl, betonte Winterkamp, habe das Zwischenfazit zudem gezeigt: Oft sei Missbrauch auch in den Gemeinden bekannt gewesen. Es gebe nicht nur ein Versagen auf der Ebene der Bischöfe. „Dafür können wir nur um Vergebung bitten.“ Das Schweigekartell sei durch nichts zu entschuldigen und zu rechtfertigen. „Wir allen müssen Missbrauch verhindern, auch Macht-Missbrauch.“ Aber auch bei diesem Thema sei man nicht an einem toten Punkt, sondern an einem Wendepunkt.

Klar bezog Winterkamp auch Stellung zur Begleichung von Schulden eines Geistlichen in Höhe von 1,15 Millionen Euro im Erzbistum Köln. „Das würden wir im Bistum Münster nie machen. Dafür gibt es bei uns auch keine Töpfe.“ Und weiter: „Ohne Beteiligung der Gremien, die für die Finanzen des Bistums Münster Verantwortung trügen, könne niemand aus der Bistumsleitung allein über derartige Vermögenswerte verfügen.

Nach der Veranstaltung fasste eine Zuhörerin den Eindruck zusammen, den vielen mit nach Hause nahmen: „Bei mir keimt Hoffnung auf.“

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