Ulrich Lüke: Biologische Sachverhalte zur Kenntnis nehmen

Auch eine Frau kann Jesus repräsentieren

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Können Frauen in der katholischen Kirche zu Priesterinnen geweiht werden? Papst Johannes Paul II. hat diese Frage seinerseits klar beantwortet. Doch so klar sollte die Antwort nicht sein, erklärt Ulrich Lüke in seinem Gast-Kommentar.

Ein Stolperstein auf dem Synodalen Weg, den die Kirche in Deutschland derzeit geht, ist das Priesteramt für Frauen. Papst Johannes Paul II. hatte 1994 die Position bekräftigt, nur ein Mann könne beim Abendmahl Jesus Christus angemessen repräsentieren.

Biologisch genetisch ist die Frau in aller Regel ausgestattet mit zwei X-Chromosomen (Genotyp XX) und der Mann mit einem X- und einem Y-Chromosom (Genotyp XY). Und beide sehen dann aus – man nennt das Phänotyp –, wie eine Frau oder ein Mann eben aussieht.

Es gibt aber Menschen mit dem weiblichen Genotyp XX, die trotzdem vom Phänotyp her ein Mann sind, und zwar wegen der Verlagerung eines winzigen Stückchens vom Y des Vaters auf das der Tochter vererbte X-Chromosom. Dem Augenschein nach könnten diese genotypischen Frauen, die phänotypisch Männer sind, geweiht werden.

Bestimmt das Aussehen die Weihe?

Der Autor
Ulrich Lüke ist Krankenhauspfarrer am St.-Franziskus­-Hospital in Müns­ter. Der Theologe und Biologe war von 2001 bis 2017 Professor für Sys­tematische Theologie an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen. In seinen Forschungsarbeiten setzt er sich insbesondere mit dem Verhältnis von Naturwissenschaft und Glaube auseinander.

Es gibt auch Menschen mit dem männlichen Genotyp XY, die vom Phänotyp her Frauen sind. Durch Mutation an einem anderen Gen ist die Durchlässigkeit der Zellmembran für das männliche Testosteron reduziert. So wirkt nur das in den Zellen befindliche weibliche Östrogen und prägt das Äußere. Dem Augenschein nach dürften diese genotypischen Männer, die phänotypisch als Frau erscheinen, nicht geweiht werden.

Manche Menschen haben als Genotyp XXY. Sind sie wegen der zwei X nun Frauen oder wegen des XY Männer? Sie sind von Phänotyp her eher als Männer zu identifizieren, würden also geweiht werden können. Mir ist zumindest ein katholischer Priester mit XXY bekannt. Er hat das seinem Bischof vor der Weihe mitgeteilt und ist dennoch geweiht worden.

Gott ist Mensch geworden

Thomas von Aquin (1225-1274) hat über den Zusammenhang von Weltwissen und Gotteslehre geschrieben: „Ein Irrtum über die Welt wirkt sich aus in einem falschen Denken über Gott.“ Wir müssen die biologischen Sachverhalte dieser Welt als Schöpfung Gottes redlich zur Kenntnis nehmen, um nicht bei den theologischen Sachverhalten über Gott, ihren Schöpfer, in die Irre zu gehen. Aber kann man abweichen von Dingen, die 2000 Jahre gültig schienen? Ja, man kann und muss es sogar, wenn neue Erkenntnisgründe da sind, weil uns die Wahrheit, Gott selber, dazu verpflichtet.

Wir feiern an Weihnachten: Gott ist Mensch geworden in Jesus Christus. Wir feiern die Menschwerdung, nicht die Mannwerdung Gottes. Und weil Gott Mensch geworden ist, darum kann auch eine Frau durch ihre Menschlichkeit – auch bei der Eucharistie – Jesus Christus repräsentieren.

In unseren Gast-Kommentaren schildern die Autor:innen ihre persönliche Meinung zu einem selbst gewählten Thema. Sie sind Teil der Kultur von Meinungsvielfalt in unserem Medium und ein Beitrag zu einer Kirche, deren Anliegen es ist, die Zeichen der Zeit zu erkennen.

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