Tobias Kläden zur Zukunft der Kirchen

Christen in Deutschland: In Zukunft eine Minderheit und trotzdem wichtig

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Rekord-Austrittszahlen und sinkende Taufquote – die Zukunft der christlichen Kirchen in Deutschland sieht nicht gerade rosig aus. Doch jammern hilft nichts, sagt Theologe Tobias Kläden in seinem Gast-Kommentar.

Zum Jahresende zieht man gerne Bilanz. Wie fällt die Bilanz des Jahres 2023 für die katholische Kirche aus? Dazu fallen sicher nicht nur mir viele Dinge ein … Eine Zahl ist mir besonders im Gedächtnis geblieben: 522.821. Das war die Zahl der Austritte (des Vorjahres) aus der katholischen Kirche, die im Juni von der Deutschen Bischofskonferenz veröffentlicht wurde.

Es war bei weitem die bisherige Rekordzahl an Austritten. Prozentual gerechnet, traten 2,4 Prozent aller Katholik:innen aus ihrer Kirche aus – ein sehr hoher Wert, wenn man bedenkt, dass bislang erst zweimal, in den bisherigen „Rekordjahren“ 2019 und 2021 die 1-Prozent-Marke überhaupt erst geknackt wurde. Zwar mag die Austrittsquote von 2,4 Prozent auf den ersten Blick klein erscheinen, aber in absoluten Zahlen entspricht dies ungefähr der gesamtem Einwohnerschaft Nürnbergs, das immerhin Rang 14 in der Liste der deutschen Großstädte einnimmt.

Abschwächung der Erosion nicht in Sicht

Der Autor
Tobias Kläden, Theologe und Psychologe, ist Referent für Evangelisierung und Gesellschaft bei der Katholischen Arbeitsstelle für missionarischen Pastoral (KAMP) der Deutschen Bischofskonferenz in Erfurt.

Was bedeutet das für die langfristige Entwicklung? Es gibt keine Hinweise, die für eine Abschwächung dieses Erosionstrends sprechen, im Gegenteil. Nach den Daten der 6. Kirchenmitgliedschaftsstudie (KMU) der Evangelischen Kirche Deutschlands, bei der sich erstmals auch die katholische Kirche beteiligt hat, ist die Neigung zum Kirchenaustritt bei evangelischen wie katholischen Kirchenmitgliedern im Vergleich zu früheren Studien deutlich angestiegen. Die KMU spricht daher von einem organisationalen Kipppunkt, vor dem die Kirchen stehen.

Neben den Austritten sind es der demografische Wandel und die sinkende Taufquote, die die christlichen Kirchen bundesweit in eine Minderheitenposition führen (in der sie im Osten Deutschlands schon lange sind, aber ebenso in den Großstädten und inzwischen auch auf der Ebene einiger westdeutscher Bundesländer). Die Mitglieder der beiden großen Kirchen machen aktuell bereits weniger als 50 Prozent der Bevölkerung Deutschlands aus. Zählt man die anderen christlichen Gemeinschaften wie Orthodoxe oder Freikirchen hinzu, so lässt sich für 2024 prognostizieren, dass auch die Gesamtzahl der Christ:innen in Deutschland unter die 50-Prozent-Marke fällt.

Kirche bleibt ein wichtiger Faktor

Umgekehrt werden Menschen ohne konfessionelle Bindung 2027 die Bevölkerungsmehrheit stellen. Die von der Freiburger Studie 2019 vorausgesagte Halbierung der Mitgliederzahl bis zum Jahr 2060 wird voraussichtlich schon in den 2040er Jahren erreicht sein.

Diese Befunde gilt es, nüchtern, aber auch ehrlich wahrzunehmen. Es geht nicht um Dramatisierung, aber um das Zugeständnis: Es verändert sich etwas Grundlegendes in der Architektur unserer Gesellschaft, wenn Christ:innen nur noch ein Drittel oder ein Viertel der Bevölkerung ausmachen. Dass das Christentum zur Minderheit wird, wird zwar abstrakt gewusst, aber oft auch verdrängt und noch zu wenig diskutiert.

Und keine Angst: Auch eine massiv schrumpfende Kirche bleibt zivilgesellschaftlich wie religiös ein wichtiger Faktor. Denn auch das zeigen die Ergebnisse der KMU: Die Kirchen leisten vor Ort viel gute und wertgeschätzte Arbeit. Nehmen wir also gelassen und beherzt die Rolle der „kreativen Minderheit“ an, wie es der Magdeburger Bischof Gerhard Feige ausdrückt.

In unseren Gast-Kommentaren schildern die Autor:innen ihre persönliche Meinung zu einem selbst gewählten Thema. Sie sind Teil der Kultur von Meinungsvielfalt in unserem Medium und ein Beitrag zu einer Kirche, deren Anliegen es ist, die Zeichen der Zeit zu erkennen.

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