Themenwoche: Kirchenaustritt – vor und nach der Schwelle (2)

Warum Menschen im Kloster über ihren Kirchenaustritt nachdenken

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Im November haben sich in der Benediktinerabtei Gerleve Menschen zu einem Seminar getroffen, die aus der Kirche austreten wollen oder ausgetreten sind. Gemeinsam haben sie über ihre persönlichen Wege nachgedacht. Drei Tage, die Spuren hinterlassen haben.

Da saß er dann in der Runde mit 14 Menschen, die mit dem Gedanken spielten, aus der Kirche auszutreten oder diesen Schritt bereits getan hatten. Die Benediktinerabtei in Gerleve hatte das dreitägige Seminar im vergangenen November angeboten, Abt Andreas selbst hatte die Idee dazu und schließlich im offiziellen Programm eingeladen. Es ging um die eigenen Geschichten mit der Kirche, um Verletzungen und um Brüche. Es ging aber auch um ungebrochenen Glauben, um Spiritualität und um Gottesbeziehungen.

M. ist Arzt in einer Stadt im nördlichen Ruhrgebiet. Seinen Namen will er nicht nennen. Zu eng ist noch sein Kontakt zu den Menschen in seiner Pfarrei. „Ich habe bislang nicht mit vielen über meine Gedanken gesprochen, der Institution Kirche den Rücken zu kehren.

Auch im Freundeskreis hat der 64-Jährige das bislang nicht offensiv diskutiert. Was nicht heißt, dass er dem Schritt selbst nicht viel Bedeutung zuspricht. „Nein, es beschäftigt mich intensiv.“ Seine Frau ist bei diesem Thema die wichtigste Gesprächspartnerin.

Langer Weg zum Zweifel

Kirchenaustritt – vor und nach der Schwelle
Immer mehr Menschen verlassen die Kirche, obwohl sie eigentlich innerlich sehr mit ihr verbunden waren – und womöglich nach wie vor sind.  Wir haben für unsere Themenwoche mit Menschen vor und nach so einer Entscheidung gesprochen. Und wir lassen Pfarrer Jan Magunski zu Wort kommen, der in einem City-Kirchenprojekt in der Diaspora-Stadt Oldenburg versucht, die Türen für alle weit offen zu halten.

Sein Weg an den äußersten Rand des kirchlichen Lebens ist ein langer. Acht Jahre saß er im Pfarrgemeinderat seiner Heimatgemeinde, er war sechs Jahre dessen Vorsitzender. Mit seiner Frau bot er für Paare vor der kirchlichen Hochzeit Ehevorbereitungs-Workshops an. Er engagiert sich immer noch für ein katholisches Jugendhaus, Kontakte zu seiner katholischen Studentenverbindung halten weiter.

Die Frustration von M. ist herauszuhören, wenn er von seinem Weg spricht. „Es sind keine Glaubenszweifel“, sagt der. „Es sind Zweifel an den übergeordneten Strukturen und Entscheidungen der Kirche.“ Vor allem aber ist er von haupt- und ehrenamtlichen Akteuren in der Pfarrei enttäuscht. „Auch dort gibt es oft keine Transparenz und Offenheit.“

Teilnehmer ohne Glaubenszweifel

In der Runde in Gerleve erlebte er, dass das allen ähnlich ging. „Keiner hatte den Glauben verloren – die Tür zur Auseinandersetzung hätte dann wohl niemand wieder aufgemacht.“

Vielmehr hörte er Geschichten von persönlichen Enttäuschungen, von Wut auf Kirchenpolitik, von traurigen Erlebnissen. Mal mehr, mal weniger entsetzend: „Es gab auch Berichte von direkt von Missbrauch Betroffenen.“

Die Entscheidung, ob er nun austreten wird oder nicht, hat er nach den drei Tagen nicht getroffen. Das ist bei einer anderen Teilnehmerin anders. B. aus Münster ist sich jetzt sicher, dass sie nicht austreten wird. „Ich habe noch einmal gemerkt, dass ich ein Stück meiner Identität herausschneiden würde, wenn ich den Schritt gehen würde. Viele Menschen in der Kirche haben mir in meinem Leben viel geschenkt – die würde ich verraten.“

Großwetterlage in der Kirche

Auch die ehemalige Grundschullehrerin möchte anonym bleiben. Als Religionspädagogin ist sie in der Stadt keine Unbekannte. Lange Zeit arbeitete sie in der Gottesdienstvorbereitung, war Erstkommunion-Katechetin, engagierte sich im Bibelkreis.

Die „Großwetterlage“ in der Kirche, aber auch personelle Entwicklungen in ihrer Gemeinde haben auch sie irgendwann an der Institution zweifeln lassen. „Es kommen immer weniger Angebote – ich bin schon einige Zeit auf der Suche nach einer Lösung.“

Ihre Teilnahme am Seminar in Gerleve gehörte zu dieser Suche. Sie ist gestärkt zurückgekommen, sagt die 76-Jährige. „Ich weiß jetzt, dass ich noch mehr selbst gefragt bin, Wege, Orte oder Dinge zu finden, die mich erfüllen.“ Womit sie schon angefangen hat. „Ich lese wieder mehr theologische Bücher und schreibe meine Gedanken auf.“

Keine Gefahr, den Glauben zu verlieren

Sowohl der Teilnehmer aus dem Ruhrgebiet als auch die Teilnehmerin aus Münster sprechen auch von der intensiven seelsorglichen Ausstrahlung des Seminars. „Die Berichte der anderen haben viele Dinge neu gewichtet“, sagt M.

„Die Gespräche mit Abt Andreas, der das Seminar leitete, haben mir viel bedeutet“, sagt B. Beiden ist dabei noch einmal bewusst geworden, dass sie bei allen Problemen mit der Kirche „nicht Gefahr laufen, den Glauben an Gott zu verlieren“.

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