Antworten eines Diakons und Professors

„Hoffnung auf Heilung darf sterben“ - wie der Glaube Todkranken hilft

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Gereon Heuft ist Seniorprofessor für psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Universitätsklinikum Münster. Zudem ist er Ständiger Diakon der Liebfrauen-Überwasser-Pfarrgemeinde. In seinen Augen ist es wichtig, dass ein todkranker Patient seine Hoffnung auf Heilung beenden darf.

Herr Professor Heuft, hilft der Glaube todkranken Patienten bei der Bewältigung ihres Schicksals?

Ich habe das in einer Studie im Jahr 2016 bereits beschrieben: Not hilft (nicht) beten! Menschen werden nicht per se religiöser, wenn sie erkranken. Sie haben durch ihre Krankheit keine religiösere Überzeugung als zuvor. Das wäre auch „schwarze“ Pädagogik: Wenn es dir schlecht geht, kommst du zur Besinnung! Wenn ein Patient aber schon vor seiner Erkrankung ein religiöser Mensch war, kann er das in der Krankheit aufgreifen. Man braucht niemanden mit dem Glauben kommen, der dazu grundsätzlich keinen Zugang hat. Es braucht eine Grundlage. Niemand wird religiös, weil er schwer krank wird.

Religiösen Menschen hilft ihr Glauben aber?

Ein positives Gottesbild kann bei der Krankheitsverarbeitung hilfreich sein. Dazu gibt es viele Untersuchungen. Deswegen ist Seelsorge bei schwerer Krankheit so wichtig. Am Beispiel der Palliativmedizin wird das konkret: Um palliativmedizinische Leistungen in der Klinik abrechnen zu können, sind seelsorgliche und spirituelle Begleitung als Angebot zwingend vorgeschrieben.

Ist die positive Wirkung des Glaubens automatisch gegeben?

Nein. Durch einen Schicksalsschlag wie eine schwere Erkrankung landet der Patient unweigerlich bei der Warum-Frage. Das ist normal und menschlich. Gerade religiöse Menschen können dann dazu neigen, diese Frage nicht offenzulassen. Sie konstruieren sich darauf eine Antwort, auch um den Preis, dass sich ihr erwachsendes Gottesbild von einem zugewandten und gütigen Gott zu einem strafenden Gott verändert: Er hat mir diese Krankheit geschickt, es ist eine Strafe – ich muss etwas verbrochen haben! Sie zermartern sich dann den Kopf, auch mit der Idee: Wenn ich mein Vergehen erkenne und danach handele, wird auch meine Krankheits-Prognose besser. Sie finden aber in der Regel kein Vergehen und bleiben so in der Mühle von Schuldgefühlen gefangen. Niemand bekommt Krebs, weil er etwas Böses getan hat. Der Preis für diesen Gedankengang ist enorm hoch, weil ich mein liebendes Gottesbild zu verlieren drohe.

Ist die Entwicklung von einem strafenden zurück zu einem liebenden Gott möglich?

Das kann kaum gelingen, wenn ich mein ganzes Leben schon ein strafendes Gottesbild hatte. Dann ist das verfestigt. Wenn ich aber mit einem positiven Gottesbild gelebt habe, ist es möglich dies wiederzufinden. Mir muss bewusstwerden, dass ich keine Antwort auf die Warum-Frage finde. Was kein leichter Schritt ist, denn durch die Frage erhofft sich der Patient eine Handlungsfähigkeit, die wir Menschen ungern aufgeben. Er meint etwa, wenn er Buße tun könne, könne er seine Prognose verbessern.

Wie kann der Patient ohne Antwort auf das Warum mit seinem Schicksal umgehen?

Es geht dabei um Akzeptanz. Oft steht aber die Hoffnung über allem: Der Patient soll sich deshalb nicht aufgeben, soll kämpfen. Selbst, wenn der Tod absehbar und unausweichlich ist. Wenn es soweit ist, fallen alle aus allen Wolken und können mit dem Verlust nicht umgehen. Deswegen ist es wichtig, dass man irgendwann die Hoffnung aufgibt. Sie darf dann sterben.

Bekommt die Krankheit beim Abschied von der Hoffnung nicht zu große Macht?

Im Gegenteil: Sie verliert in diesem Augenblick die Macht über den Sterbenden. Es ist zentral wichtig, irgendwann zu realisieren, dass das baldige Sterben unausweichlich ist. Ich kann mich sonst nicht mit dem Lebensende auseinandersetzen, wenn weiter die Hoffnung auf Heilung oder Lebensverlängerung dominiert. Um mich offen und ehrlich mit meinem Tod zu befassen, muss ich diese Hoffnung aufgeben.

Welche Wirkung hat das auf den Patienten?

Er kann vieles noch einmal neu in den Blick nehmen. Zum Beispiel, dass er seine Chemotherapie mit ihren ganzen Nebenwirkungen beendet, wenn der Erfolg ausbleibt. Dann kann es eine Phase geben, in der es ihm ohne Nebenwirkungen „besser“ geht und er kann Abschiedsbesuche machen. Er kann seine letzten Anliegen regeln. Er kann sein Leben noch einmal aktiv gestalten. Das alles versäumt er, wenn er an der Hoffnung festhält und weiter aussichtslos kämpft. Loszulassen wirkt auf psychische Lebensqualität oft unglaublich entlastend.

Wann ist der Zeitpunkt dafür?

Angehörige, Ärzte, Seelsorger – alle Beteiligten sollten sich damit auseinandersetzen. Der Impuls muss aber vor allem vom Patienten kommen. Dafür muss mehr ins öffentliche Bewusstsein, dass so ein Schritt legitim ist. Er sollte sich durchaus zu diesem Schritt ermutigt fühlen und nicht das Gefühl haben, andere damit zu enttäuschen. Er darf sich nicht zur Hoffnung gedrängt fühlen.

Was ist mit der christlichen Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod?

Wenn man auf dem Korintherbrief von Paulus schaut, ist die Liebe größer als die Hoffnung – also bleibt nach der Hoffnung der liebevolle Umgang miteinander. Für religiöse Menschen geht diese Liebe über den Tod hinaus – mit dem Glauben, danach in Gottes Liebe gut aufgehoben zu sein. Eine völlig andere, transzendente Hoffnung.

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