Telgter Fachklinik feiert 175-jähriges Bestehen

Wenn jeglicher Antrieb fehlt - wie das Rochus-Hospital Menschen hilft

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Das St.-Rochus-Hospital ist als Fachklinik weit über die Grenzen von Telgte und dem Kreis Warendorf bekannt. Die älteste Fachklinik Westfalens begeht am 27. August ihr 175­-jähriges Bestehen. Ein Erfahrungsbericht erzählt, wie das Hospital Menschen in Not helfen kann.

Ihre Kehle ist wie zugeschnürt, sie bekommt keinen Bissen mehr durch den Hals. Tagsüber liegt sie auf dem Sofa und starrt in den Himmel. Ihr fehlt jeglicher Antrieb. Sie will niemanden sehen und geht nicht ans Telefon. Denn sie will keine Rat-Schläge mehr hören, wie sie solle doch mal Urlaub machen. Nachts wälzt sie sich von einer Seite auf die andere, ihr Herz rast, die Angst ist übermächtig und die Gedanken drehen sich im Kreis.

Elisabeth M.* weiß nicht mehr weiter, sie ist seit Wochen krankgeschrieben und von einem Facharzt zum nächsten geschickt worden. Eine organische Erkrankung liegt nicht vor. Aber so kann es nicht weitergehen. Sie ist am Ende. „Ich hatte einen schwarzen Hund, sein Name war Depression“, erinnert sich Elisabeth M. an ihren Leidensweg.

Station Raphael wird zur Zufluchtsstätte

Nach einer zweimonatigen quälenden Zeit Zuhause entschließt sich Elisabeth M. auf Anraten ihrer Hausärztin zu einem stationären Aufenthalt im Telgter St.-Rochus-Hospital. Ohne Information ihrer Familie lässt sie sich von einem Freund in die Klinik bringen. Im Aufnahmegespräch versucht sie immer noch ihre Fassade aufrechtzuerhalten, obwohl sie am Ende ihrer Kraft ist. Die Station Raphael soll für die nächsten Wochen ihre Zufluchtsstätte werden. Nach einem angstlösenden Medikament kann sie am ersten Abend erstmals wieder etwas essen – einen Joghurt.

Am darauffolgenden Tag kommt der damalige Chefarzt, Heinrich Schulze Mönking, zur Visite. Er verspricht der damals 44-Jährigen: „Wir fangen Sie auf.“ Elisabeth M. plagen zu dem Zeitpunkt Sorgen um ihren Arbeitsplatz: Wie wird ihr Arbeitgeber mit ihrer Erkrankung umgehen? Kann sie weiter ihre leitende Funktion ausüben? Und wie wird ihre Familie reagieren? Als sie ihre Mutter anruft, reagiert diese ziemlich konsterniert. Ihre Generation hat wohl immer noch ein rückwärtsgewandtes Bild von dem St. Rochus. Mitpatienten sprechen auch mehr oder weniger scherzhaft von der „Meisenklinik“.

Auf Reise in die Vergangenheit

Das Telgter Rochus-Hospital aus der Luft
Eine Luftaufnahme zeigt das St.-Rochus-Hospital in Telgte in seiner heutigen Form. | Foto: pd

Obwohl sich Elisabeth M. am liebsten in ihr Bett verkriechen möchte, bekommt sie umgehend einen Wochenbehandlungsplan mit verschiedenen Aktivitäten wie Ergotherapie, Sport, Yoga, autogenem Training, Schwimmen und Gesprächen mit ihrer Therapeutin. In Angela Cassier findet Elisabeth M. eine emphatische Zuhörerin auf ihrer Reise in die Vergangenheit.

In Aufzeichnungen in einer schwarzen Mappe erwacht das innere Kind in Elisabeth M. wieder. Sie schreibt sich alles von der Seele, die intimsten Erinnerungen und Erfahrungen, die Enttäuschungen und Erwartungen, ihre Sucht nach Perfektionismus, („Immer will ich 150-prozentig sein“), ihr Problem mit dem nicht Nein-Sagen können und ein ewig schlechtes Gewissen. „Ich bin doch sonst so stark“, äußert sie immer wieder, weil sie die Schatten auf ihrer Seele nicht akzeptieren will. „Warum bin ich so?“ Je tiefer Elisabeth M. in ihre (Familien-)Geschichte eintaucht, um so weher tut es ihr. Der Druck auf den Kessel steigt. „Aussöhnung mit dem inneren Kind: Das habe ich mir fest vorgenommen. Aber ob mir das gelingt. Da sind so viele Dinge verschüttet. Und wenn sie hochkommen, macht mir das Angst.“

Erste Auszeit daheim geht gründlich schief

Elisabeth M. möchte, dass ihre Familie ihre Depression versteht. Am zweiten Wochenende ihres Telgte-Aufenthalts darf sie erstmals für eine Nacht wieder nach Hause. Ihr ist es mulmig bei dem Gedanken. Was erwartet sie? Sie will ja wieder stark sein. Samstags nach dem Frühstück fährt sie los, bis Sonntagabend muss sie zurück sein. Doch so lange hält sie es in ihren vier Wänden nicht aus. Von Weinkrämpfen geschüttelt, macht sie sich schon am Sonntagmorgen wieder Richtung Telgte auf.

Unter die „Käse-Glocke“ mit Menschen, die sie verstehen, annehmen und aufbauen, wie ihre Bezugsschwester Annemarie. Tröstlich sind auch die Gespräche mit anderen Patienten, im Laufe der Zeit bildet sich eine kleine Clique für gemeinsame Unternehmungen. Sie geben einander Halt. Wie gut das tut. Immer wieder besucht Elisabeth M. die Gnadenkapelle in Telgte, betet zur Schmerzhaften Muttergottes um Hilfe. Nach einigen Wochen schlagen die Therapien, auch die Medikamente, an. Ihr geht es besser, sie verspürt wieder Lust am Leben. Bevor sie ihren Aufenthalt im St. Rochus beendet, verfasst sie einen Wunschzettel mit vielen guten Vorsätzen. Der erste lautet: „Nicht ja sagen, wenn ich nein meine.“

„Depressionen lassen sich zähmen“

„Liebe dein inneres Kind“: Verdammt schwer. „Bevor man andere liebt, sollte man sich selbst lieben“, sagt der katholische Priester im St. Rochus ihr zum Abschied.

Die schwarze Mappe, mit der sie den „schwarzen Hund“ an die Leine gelegt hat, wird bis heute bei ihrer Ärztin in Telgte verwahrt. In Verbindung mit der Depression steht der schwarze Hund (siehe gleichnamiges Buch von Matthew Johnstone) als Platzhalter für das Unaussprechliche. Aber: „Depressionen lassen sich zähmen, wenn Du genügend übst.“ Immer wenn mal wieder eine dunkle Wolke in Elisabeth Ms. Leben aufzieht, denkt sie an den guten Geist vom St.-Rochus-Hospital und sie weiß, es geht vorbei. (*Name ist geändert)

Stichwort: St.-Rochus-Hospital Telgte
Mit einem Tag der offenen Tür am Sonntag, 27. August, von 10 bis 17 Uhr, feiert das St.-Rochus-Hospital in Telgte sein 175-jähriges Bestehen. Es werden Fachvorträge und die Ausstellung 175 Jahre St. Rochus-Hospital, Rundgänge durch das Haus, ein Programm für Kinder und Leckereien aus der hauseigenen Küche und Bäckerei geboten. Seit ihrer Gründung im Jahre 1848 durch die Schwestern vom Orden der Franziskanerinnen von Münster-Mauritz hat sich die älteste Fachklinik Westfalens überregional zu einer bedeutenden Einrichtung entwickelt. Das St.-Rochus-Hospital, eine Einrichtung der St. Franziskus-Stiftung Münster, verfügt aktuell über 233 stationäre Behandlungsplätze und ist gegliedert in die Bereiche Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Psychotherapie, Gerontopsychiatrie und Gerontopsychotherapie sowie Abhängigkeitserkrankungen.
Zusätzlich verfügt es über Tageskliniken in Warendorf und Ahlen mit 58 Behandlungsplätzen, eine Institutsambulanz sowie im Rahmen der Eingliederungshilfe den Wohnbereich St. Benedikt mit 85 Plätzen und weitere ambulante Angebote, wie das Betreute Wohnen für chronisch psychisch kranke Menschen und den Integrationsfachdienst.

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