Leo Jan Wittenbecher über die Seelsorge im Universitätsklinikum Münster

Klinikseelsorger: Es geht weniger um Sakramente – es geht um Rituale

  • Die Krankenhausseelsorge hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert.
  • Das berichtet Leo Jan Wittenbecher, Seelsorger im Universitätsklinikum Münster und Referent im Generalvikariat in Münster.
  • Gewandelt haben sich die Zusammenarbeit mit den Mitarbeitenden des Klinikums, die Angebote für Patienten und die Ansprache von Angehörigen.

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Der Bedarf ist anders geworden, nicht weniger: Die Seelsorger am Universitätsklinikum Münster (UKM) erleben seit Jahren eine Veränderung in den Bedürfnissen der Patienten und ihrer Angehörigen, aber auch der 11.000 Mitarbeitenden des Klinik-Komplexes. „Die Nachfrage nach klassischen Angeboten etwa von Gottesdiensten oder Sakramenten gehen spürbar zurück“, sagt Klinikpfarrer Leo Jan Wittenbecher. „Die Sehnsucht nach Räumen, in denen die Menschen ausdrücken können, was sie bewegt, ist aber geblieben.“

Dabei handelt es sich vermehrt um Räume ohne Wände und Türen. Zwar gibt es nach der Profanierung der alten Klinikkirche „St. Maria Heil der Kranken“ weiterhin zentrale Orte für Gebete und Gottesdienste. Etwa in direkter Nachbarschaft zum Zentralklinikum in der Karl-Leisner-Kapelle auf dem Tita-Cory-Campus, an dem auch das neue katholische Studierenden-Wohnheim liegt. Oder in der Kapelle auf Ebene 7 im westlichen Bettenturm.

Die Räume, von denen Wittenbecher spricht, haben aber eine größere Vielfalt. „Sie ergeben sich im Gespräch, im gemeinsamen Weg, in der Begleitung – immer dort, wo es gelingt, sich an Wendepunkten des Lebens mit existentiellen Fragen auseinanderzusetzen.“

Teil eines interdisziplinären Teams

Die Rolle der Krankenhausseelsorge hat sich damit geändert – nicht nur am Klinikum in Münster. Das weiß Wittenbecher auch als zuständiger Referent im Generalvikariat in Münster. „Wir sind heute Teil des interdisziplinären Teams, in dem es um medizinische, psychische und soziale Fragen geht.“

Das achtköpfige ökumenische Team der Seelsorger im UKM bringt dort die spirituelle Dimension ein. Und das längst nicht mehr nur am Bett des Kranken oder mit den Angehörigen auf dem Krankenhausflur.

Kommunikation mit Mitarbeitenden wird wichtiger

Denn das Profil der Seelsorge ist vielseitiger geworden. Gerade die Kommunikation mit den Mitarbeitenden nimmt mittlerweile großen Stellenwert ein. Fortbildungen, Supervisionen und Einzelgespräche mit Medizinern, Pflegern und Wissenschaftlern sind fester Bestandteil.

„Auch sie müssen persönlich in der Lage sein, mit den menschlichen Extremsituationen im Krankenhaus umgehen zu können“, sagt Wittenbecher. „Auch sie müssen Wege finden, wie sie etwa einen sterbenden Patienten emotional loslassen können.“

Heilung in der Begegnung

Es geht dann auch darum, alle Beteiligten zu befähigen, im Kontakt untereinander sowie mit den Kranken und Angehörigen jene Momente zu schaffen, in denen nicht allein das Medizinisch-Fachliche, sondern auch das Spirituelle seinen Platz hat. „In welcher Form auch immer“, sagt Wittenbecher. „Denn jeder Raum, in dem Menschen an Wendepunkten ihres Lebens begegnet wird, bedeutet ein Stück Heilung.“

Auch viele ehrenamtliche Helferinnen und Helfer sind dabei. Die Nähe des neuen Seelsorger-Büros zu den Studierenden am Tita-Cory-Campus schafft Möglichkeiten. Es gab bereits einen Workshop mit ihnen, bei dem sich 21 Teilnehmende zu Gesprächen an unterschiedliche Krankenbetten im UKM setzten, um genau diese Momente der Auseinandersetzung zu erleben. Bei dieser Erfahrung wurden sie begleitet, das Erlebte im Anschluss reflektiert.

Kirche ohne Etikett

Wo bleibt dabei der konfessionelle Anspruch? Gerade in einem säkularen Umfeld wie im UKM wissen viele nichts mehr anzufangen mit dem kirchlichen Hintergrund des Seelsorge-Einsatzes. Das erfährt Wittenbecher immer wieder.

Etwa in der Supervisionsrunde mit Medizinern, in der ein junger Arzt immer wieder lachte, wenn der Seelsorger als „Pastor“ angesprochen wurde. „Bis ihn ein anderer Arzt darauf hinwies, dass das kein Spitzname, sondern ein Beruf sei.“

Der religiöse Hintergrund der Seelsorger ist trotzdem präsent, auch wenn er nicht immer „auf dem Etikett steht“, wie Wittenbecher es nennt. „Denn überall, wo es um elementare Grundbedürfnisse geht, wo es um Lebenssinn geht, da gibt es auch eine Sehnsucht nach einem Gott, bei dem alle unbeantworteten Fragen gut aufgehoben sind.“

Große Chance für die Kirche

Es geht dann auch darum, diese Momente rituell zu gestalten. Formen zu finden, in denen diese Sehnsucht bei dem Menschen Ausdruck bekommen. Wittenbecher nennt als Beispiel jenen Segen, den er Kranken, oft auch Angehörigen spendet. „Wenn etwa der Übergang in die palliative Versorgung ansteht.“ Einfaches Handauflegen, ein paar Worte, vielleicht ein Gebet – so, wie es die betroffenen Menschen suchen. „Das hat etwas mit dem Heiligen Geist zu tun, auch wenn ich den nicht explizit nennen würde.“

Wittenbecher sagt, dass solche Augenblicke eine „riesige Chance für die Kirche“ sind. „Wir kommen nicht als Institution, sondern als interessierte Menschen, die sich aus ihrem Glauben heraus auf die Situation einlassen und auf die Suche nach Spiritualität machen, die Menschen bewegt.“

Für den Klinikseelsorger am UKM in Münster ist das eine zentral biblische Ausstrahlung: „Jesus ist auch zu den Menschen gekommen und hat als erstes gefragt, was ihnen fehlt, um ihnen dann das zu geben, was sie brauchen.“

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