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Segensfeiern sind beliebt, zur Sonntagsmesse kommt kaum noch jemand, Ehrenamtliche leiten zunehmend Gottesdienste. Wohin geht die Reise? Interview mit Stefan Rau, Leiter der Liturgiekommission im Bistum Münster.
Pfarrer Rau, Segensfeiern für queere oder wiederverheiratete Paare sind in aller Munde. Welche Erfahrungen haben Sie in der Liturgiekommission und als Priester mit Segensfeiern gemacht?
Zu Beginn der letzten Liturgiekommission vor fünf Jahren hat der Bischof uns auch dieses Thema aufgegeben, also haben wir daran gearbeitet – bis der Synodale Weg sich des Themas annahm und der Bischof uns bat, mit eigenen Überlegungen abzuwarten. Das konnte ich gut nachvollziehen, da sind wir jetzt gespannt. Ich halte Segensfeiern generell für ein Zukunftsthema, weil sie die Sehnsucht vieler Menschen ansprechen – nach Schutz, nach Geborgenheit, nach Spiritualität, nach Kontakt mit Gott.
Wie werden Segensfeiern von schwulen und lesbischen oder wiederverheirateten Paaren nachgefragt?
Stefan Rau ist Vorsitzender der Liturgiekommission des Bistums Münster. Er war bis 2022 Pfarrer von St. Joseph, Münster-Süd, wo unser Foto entstand. Heute ist er in Emsdetten tätig. | Foto: Michael Bönte
Ganz realistisch: Es stehen nicht tausende schwule oder lesbische Paare vor den Pfarrämtern, die nur darauf warten, dass die Kirche sie endlich segnet. Und doch gibt es diese Paare. Ich erinnere mich etwa an ein Frauenpaar, beide über 60, die nach 40 Jahren Partnerschaft zu mir kamen, weil die Mutter einer dieser Frauen in „Kirche+Leben“ gelesen hatte, dass es solche Segnungen in St. Joseph Münster-Süd gibt – in dieser sehr „bunten“ Pfarrei war ich ja bis 2022 insgesamt 20 Jahre Pfarrer. Als dann die beiden Frauen zu mir kamen, war das sehr berührend, zumal eine der beiden Frauen sagte: „Ich fasse es nicht, dass ich hier mit einem katholischen Priester unsere Segensfeier vorbereite!“ Ich habe mehrere solche schönen, bewegenden Feiern erleben und mitfeiern dürfen, wo Menschen sehr ernsthaft ihr Leben und Lieben mit Gott in Beziehung bringen wollten.
Es gibt die Segnung von Neugeborenen – provokativ gesagt: statt der Taufe. Es gibt die Segnung von Liebespaaren – statt der Trauung. Sind die kirchlichen Sakramente zu anspruchsvoll für unsere Zeit?
Sakramente sind ja immer auch Feiern der Kirche und haben daher auch Bedingungen und Rechtsfolgen in dieser Gemeinschaft, demgegenüber sind Segensfeiern viel offener. Ich sehe aber nicht, dass Segnungen deshalb bewusst statt der Sakramente gewählt werden. Ich nehme das Bedürfnis wahr, eine konkrete Lebenssituation in einen deutenden Ritus zu stellen.
Neugeborenen-Segnungen wie Beerdigungen leiten ehrenamtliche Laien, ebenso Wortgottesfeiern. Ist das mehr als eine Antwort auf den Mangel an Seelsorgenden?
Ich fürchte, ganz praktisch gesehen ist es auch das. Wir haben in Deutschland immer weniger Priester und auch deutlich abnehmende Zahlen bei Pastoralreferentinnen und -referenten. Allerdings spielt es theologisch keine Rolle, ob jemand etwas als bezahlter Haupt- oder unbezahlter Ehrenamtlicher tut. Wichtig ist, dass sie oder er getauft und gefirmt, beauftragt oder ordiniert ist. Und: Macht er oder sie das gut? Gerade bei Beerdigungen war die Sorge groß: Was werden die Leute sagen, wenn das jetzt ehrenamtliche Frauen machen? Hier in Emsdetten sagen die Leute ganz klar: Diese Frauen machen das großartig! Aus demselben Grund haben wir für das Bistum ja ein Buch veröffentlicht zum Sterbesegen – für Haupt und Ehrenamtliche, die im Krankenbesuchsdienst oder in Hospizen mitarbeiten. Sie können zurzeit nicht die Krankensalbung spenden, aber sie können mit den Menschen beten und sie segnen.
Apropos: Die Hostien, die in einer von einem Priester geleiteten Liturgie zu Leib und Blut Christi wurden, dürfen Laien an die Gläubigen austeilen. Aber das Krankenöl, das vom Bischof gesegnet wurde, dürfen nur Priester in der Krankensalbung spenden, also auch nicht Pastoralreferent:innen in der Krankenhausseelsorge. Eine unzumutbare Situation für nicht-priesterliche Seelsorgende?
Es ist vor allem für die Empfänger der Krankensalbung traurig: Sie erleben, dass ein Seelsorger oder eine Seelsorgerin sie in einer schwierigen Situation geistlich begleiten, dann aber das starke sakramentale Zeichen, das die Kirche für solche Situationen bereithält, nicht mit ihnen feiern dürfen. Ich habe hier in meinem Arbeitszimmer ein Fläschchen mit Krankenöl stehen, das mir der Papst der Kopten in Ägypten einmal mit den Worten geschenkt hat: „Wenn’s Ihnen mal schlecht geht.“ Der Bischof hat das Öl geweiht, und dann darf man sich selber damit salben oder es weitergeben. Das war auch in unserer Kirche lange Zeit so. Die heutige Situation entstand, als beim Sterben Krankensalbung und Beichte und damit der Sterbende und der Priester verbunden wurden. Das ist heute auch angesichts Ihres Beispiels mit der Kommunionausteilung nicht mehr gut nachvollziehbar.
Aktuelle Umfragen sagen: Weniger als die Hälfte der Katholiken besucht überhaupt einen Gottesdienst. Der Besuch der Sonntagsmesse liegt im einstelligen Prozentbereich. Was bedeutet das für einen Liturgiewissenschaftler und Priester?
Dass die Gemeinde sich am Sonntag zur Eucharistie versammelt, ist ein uraltes Identitätszeichen der Christen. Heute scheint aber die Tatsache, dass Sonntag ist, für viele kein hinreichender Grund zu sein, zum Gottesdienst zu gehen. Da zählen andere Anlässe und Gründe mehr: Bei meiner Taufe 1957 waren vier Menschen dabei, heute ist es völlig normal, dass 40, 50 Angehörige und Freunde aus ganz Deutschland oder auch New York anreisen, wenn ein Kind getauft wird, so wichtig ist das! Menschen heute brauchen offenkundig einen besonderen Anlass, um einen Gottesdienst mitzufeiern – etwa Taufe, Trauung, Beerdigung, aber auch Weihnachten, Geburtstag, Einschulung, Abitur …
In der Liturgie spielt Leitung eine große Rolle, nicht zuletzt an der Kleidung sichtbar – erst recht, wenn sie durch Stab und Mitra besonders hervorgehoben wird. Welche Bedeutung hat die Diskussion über den Umgang mit Macht für den Gottesdienst?
Leitung, auch die eines Gottesdienstes, hat immer auch mit Macht zu tun, das große Thema der Beteiligung aller allerdings genauso. Hier in Emsdetten versuchen wir gerade, unseren Sonntagabendgottesdienst entsprechend zu profilieren: Alle sitzen auf einer Ebene, es gibt biblische und freie Texte, Predigt und Gespräch, freie Fürbitten, Beteiligung bei der Gabenbereitung, die Kommunion unter beiderlei Gestalten für alle … Das sind alles Zeichen: Wir feiern gemeinsam als Gemeinde der Getauften. Diese Gemeinde kennt aber auch besondere Dienste, was sich auch in den Gewändern zeigen kann: Dann tragen alle Dienst eine Albe, dazu dann Diakon, Priester und Bischof ein Zeichen ihrer Weihe. Da höre ich oft den Widerspruch: „Ich möchte als Lektor aber aus der Gemeinde kommen und kein liturgisches Gewand tragen.“ Da antworte ich schon mal: „Ah ja! Wer bin ich denn dann als Priester im Messgewand im Altarraum – kein Teil der Gemeinde?“ Da steckt uns noch eine lange Geschichte von Macht und Klerikalismus in den Knochen. Wir sind eine Gemeinde von Getauften und Gefirmten, wir alle sind Träger des Gottesdienstes, haben aber auch unterschiedliche Funktionen, die sich in Zeichen zeigen dürfen – da ist noch manches zu tun.
Welche Themen sind für die Liturgiekommission darüber hinaus von Bedeutung?
Wir sind in der Liturgiekommission nicht nur Priester und Laien, Haupt- und Ehrenamtliche aus Gemeinden, sondern sehr bewusst auch Vertreter:innen aus Kitas und Schulen, der Kirchenmusik, im Beerdigungsdienst und so fort. Es geht uns um den Blick auf alle „Lebensorte des Glaubens“: Wo überall wird Gottesdienst gefeiert, was wird dort gebraucht, was hilft dort? Thematisch gibt es eine lange Liste für die Kommission, etwa: Wie sieht es mit Gottesdienstgemeinden in den künftigen Pastoralen Räumen aus: Wer feiert wo mit wem in welcher Form Gottesdienst? Wie steht es um die Qualität unserer liturgischen Dienste – haupt- wie ehrenamtlich, beauftragt oder ordiniert: Wer bildet Lektorinnen, Wortgottesfeiernde, Kommunionhelfer, Beerdigende aus und weiter? Und dann: Wo feiern Menschen künftig würdig und menschlich Gottesdienste? Auch wenn wir nicht alle Kirchen erhalten können – die Gemeinden sind ja nicht weg. Da gibt es einen Arbeitskreis, der Gemeinden berät – auch das ist eine große Zukunftsaufgabe.