Anne-Marie Eising aus Ahaus über Machtmissbrauch durch Priester und Laien

Pastoralreferentin: Klerikalen Chauvinismus gibt es auch im Bistum Münster

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Anne-Marie Eising ist Pastoralreferentin in Ahaus (Kreis Borken). Als sie auf „Kirche-und-Leben.de“ über das Buch von 30 Kolleginnen und Kollegen über Machtmissbrauch durch Geistliche gelesen hat, schrieb sie in einem Social-Media-Post, davon könne auch sie Klagelieder singen. Was sie damit meint, sagt sie im Interview.

Frau Eising, wo haben Sie Machtmissbrauch durch Vorgesetzte erfahren?

Zunächst mal: Ich habe auch sehr gute Erfahrungen mit Vorgesetzten gemacht. Während der Ausbildung in Datteln mit Hans Overkämping, einem „väterlichen und kollegialen Lehrmeister“ und später mit Stefan Jürgens, einem kollegialen Leiter, der Kritik annehmen kann, berechtigte Kritik intern äußert, aber nach außen den Rücken stärkt.

Bei anderen Dienstvorgesetzten habe ich vor allem Unfähigkeit oder Unwilligkeit zur Kooperation erlebt. Da beschränkte sich ein Dienstgespräch, wenn es eines gab, auf den Gottesdienstplan. Dialogverweigerung ist auch Missbrauch von Macht – oder vielleicht einfach nur falsche Persönlichkeit in falscher Position?

Machtmissbrauch erlebe ich auch bei Priestern, die als Kollegen nicht meine Dienstvorgesetzten sind. Vielleicht ist es auch eher klerikaler Chauvinismus.

Zum Beispiel?

Wenn ich beim Predigtdienst oder im Rahmen der Katechese Gottesdienste vorbereite, kann ich nicht darauf vertrauen, dass es auch so läuft wie geplant. Es ist sogar schon mal der Spruch gefallen: „Ich bin Priester, ich muss mir nichts sagen lassen.“

Und mein oberster Vorgesetzter hatte mal während einer Visitation seine Rolle nicht klar. Der Bischof fragte mich, wie ich es mit dem Bußsakrament halte. Damals war ich zu feige, ihm zu sagen, dass ihn das nichts angehe. Dafür antwortete ich: „Ich würde gerne, doch ich weiß nicht wo.“ Ich hätte schon so meine Ansprüche an meinen Gesprächspartner – oder lieber noch Gesprächspartnerin.

Sie beklagen zudem einen „Klerikalismus von unten“. Was meinen Sie damit?

In dem Buch beschreibt es eine Kollegin mit den Worten: „Ohne Weihe bin ich immer eine „NUR“. Das kenne ich. Ich bin „nur“ die Pastoralreferentin. Also zweite Wahl. Nur wenn der Priester kommt, ist es was „Richtiges“. Nicht alle, aber viele Gemeindemitglieder heben den Priester auf einen Sockel. Da kommt es gar nicht darauf an, was er tut, sondern einfach, dass er da ist. Zwar bin ich beispielsweise für die Kommunionvorbereitung einer Pfarrei verantwortlich. Aber von einzelnen Gemeindemitgliedern wird kritisiert, dass ich den Kindern auch die Kommunion reiche oder während des Vorbereitungsweges eine Wort-Gottes-Feier leite: „Ich hätte auch mal gerne den Pastor gesehen, wenigstens zur Begrüßung“, hieß es letztens.

Ich wurde auch schon mal so an der Tür begrüßt: „Hatten die Herren keine Zeit?“, als ich jemandem zum 80. Geburtstag gratulieren wollte. Hier zeigt sich, dass der „Klerikalismus von unten“ oft auch etwas mit dem Thema Frau / Mann zu tun hat.

Manche – auch in Facebook-Kommentaren bei „Kirche-und-Leben.de“ – finden es ganz normal, dass es mal Probleme mit einem herrschsüchtigen Chef gibt. Was sagen Sie denen?

Da kann ich nur mit den Worten Jesu antworten: „Ihr wisst, dass die, die als Herrscher gelten, ihre Völker unterdrücken und ihre Großen ihre Macht gegen sie gebrauchen. Bei euch aber soll es nicht so sein.“ (Mk 10, 42f.)

Vor einigen Wochen hat eine Pas­toralreferentin des Bistums gekündigt, weil sie nicht mehr „Teil dieses Systems“ sein will. Wie ist die Stimmung bei Ihren Kolleginnen und Kollegen?

Zunächst einmal zu meiner Kollegin, die gekündigt hat: Vor ihrer geradlinigen Haltung kann ich nur den Hut ziehen. Doch es macht mich auch wütend. Denn so, wie ich sie einschätze, ist sie im Herzen immer noch Vollblut-Seelsorgerin. Doch ich frage mich: Juckt das die Verantwortlichen an höchster Stelle im System überhaupt? Denn wirkliche Systemänderungen sind ja nicht in Sicht, wie es ja kürzlich erst Herr Großbölting kritisierte.

Die Stimmung bei meinen anderen Kolleg:innen? Ich kenne welche, die sich beruflich um­orientiert haben, nachdem die Situation in der Gemeinde sie ausgebremst hat. Andere gehen das pragmatisch oder resigniert an. Ich fürchte, manche haben sich in die innere Emigration zurückgezogen, machen Dienst nach Vorschrift. Doch die meisten, die ich kenne, brennen eigentlich für ihren Beruf – trotz allem. Die Gefahr ist natürlich, dass man irgendwann ausbrennt.

Warum machen Sie Ihre Kritik jetzt öffentlich? Was erhoffen Sie sich davon?

Mein Social-Media-Post war eine spontane Reaktion aufgrund der Ankündigung des Buches. Als Sie mich darauf ansprachen, war mein erster Gedanke: „Wenn, dann nur anonym zitieren.“ Wenn ich ganz ehrlich bin, tief in mir spür’ ich immer noch Angst, die Schwester Philippa Rath ja auch zu Beginn des Synodalen Weges benannt hatte. Doch gerade die Angst stützt ja Missstände aller Art. Unser Ausbildungsleiter sagte: „Sie müssen lernen, an der Kirche leidensfähig zu werden.“ Lernen aufzubegehren scheint mir inzwischen evangeliumsgemäßer. Jetzt anonym zu bleiben, hieße, die Angst zu nähren. Ich versuch’ nun einfach mal, Jesus beim Wort zu nehmen: „Warum habt ihr solche Angst? Habt ihr noch keinen Glauben?“ (Mk 4, 40)

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