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Der münstersche Kirchengeschichts-Professor Hubert Wolf hat die Bedeutung historischer Erinnerung unterstrichen: „Jedes einzelne Schicksal, jede einzelne Familiengeschichte hat das Recht, aufgearbeitet zu werden“, sagte Wolf in Münster laut Bischöflicher Pressestelle bei einer Veranstaltung zum Gedenken an das deutschlandweite Pogrom an Juden am 9. November 1938. Die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Münster hatte zum Gedenken in die Synagoge eingeladen.
Wolf stellte sein laufendes Projekt vor, rund 15.000 Hilfsgesuche von Juden an Papst Pius XII. und den Heiligen Stuhl aufzuarbeiten. Sie sind seit der Öffnung der Vatikan-Archive für die fragliche Zeit im Jahr 2020 für Forschende zugänglich. Später sollen die Dokumente digital der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden.
„Menschen erhalten wieder eine Stimme“
„Jüdische Menschen, deren Andenken die Nationalsozialisten auslöschen wollten, erhalten so wieder eine unverwechselbare Stimme“, sagte Wolf. Die Bitten an den Papst seien unterschiedlich. Es gehe etwa um finanzielle Unterstützung oder um Hilfen zur Auswanderung, „um dem Tod in einem nationalsozialistischen Vernichtungslager zu entkommen“.
Ziel des Projekts sei, „alle Bittschreiben zu finden und den kurialen Umgang mit ihnen durch zahllose Aktenserien hindurch minutiös zu rekonstruieren“, sagte Wolf. Leitfragen seien: Welchen Weg haben die Briefe genommen? Können Gesetzmäßigkeiten bei der Entscheidung eines Gesuchs gefunden werden? Gab es Standardentscheidungen bei finanziellen Zuwendungen?
Ein Problem sei allerdings, dass viele mündlich vorgetragene Bitten nicht immer dokumentiert worden seien.
Warnung vor Angriffen auf Juden heute
Der Vorsitzende der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Münster, Johannes Schnocks, dankte Wolf für das Lebendig-Machen der Geschichte. Schnocks warnte vor heutigen Angriffen auf Juden, die nicht nur analog, sondern auch digital stattfänden: „Jüdische Gemeinden sind zunehmend von Online-Hassparolen betroffen.“ Auch hier sei Widerstand wichtig, damit die Menschen einen Namen bekämen „und nicht einfach nur eine Statistik sind“.