Experte: "Ich bezweifle aber, dass die Politiker das wollen"

Jesuit Zollner: Staat soll Missbrauch bei deutschen Kirchen aufarbeiten

  • Die deutsche Politik ist nach Worten des Kinderschutz-Experten Hans Zollner zu zurückhaltend gegenüber den Kirchen.
  • Die Frage, ob die Kirchen in Deutschland die Aufklärung von Missbrauch und Vertuschung an den Staat abgeben sollten, bejahte er.
  • Zugleich fügte er an: "Aber ich bezweifle, dass die Politiker das wollen."

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Die deutsche Politik ist nach Worten des Kinderschutz-Experten Hans Zollner zu zurückhaltend gegenüber den Kirchen. Auf die Frage, ob die Kirchen in Deutschland die Aufklärung von Missbrauch und Vertuschung an den Staat abgeben sollten, sagte er im "Zeit"-Interview: "Ja. Aber ich bezweifle, dass die Politiker das wollen." Er habe bereits 2020 im Bundestag für eine Wahrheitskommission geworben. Daraus sei "bisher nichts" geworden.

Zollner kritisierte auch die Kirchenoberen: "Die hartnäckige Abwehr und dass man nur zugibt, was sich gar nicht mehr verbergen lässt, liegt oft an der Angst der Bischöfe, persönliche Verantwortung übernehmen zu müssen."

"Je mehr man leugnet, desto unglaubwürdiger wird die Kirche"

Diese Erkenntnis habe er als externer Berater der Missbrauchsstudien für die Erzbistümer Köln und München gewonnen. Mit Bezug auf die deutschen Bischöfe sagte der Theologe: "Hinderlich ist auch der Glaube, dass man ja von Gott ins Amt berufen wurde und folglich nicht abberufen werden kann, allenfalls vom Papst."

Es seien aber keineswegs nur Bischöfe, sondern auch einfache Gemeindemitglieder, die meinten, man tue der Kirche einen Gefallen, wenn man ihr Bild in der Öffentlichkeit schütze. "Sie verstehen nicht, dass es genau umgekehrt ist: Je mehr man leugnet, desto unglaubwürdiger erscheint die Kirche."

"Alle verdrängen das Thema Missbrauch"

Der Jesuit bescheinigte der Kirche eine "doppelte Krise: die Krise des Missbrauchs und die Krise der Vertuschung". Doch jeder könne etwas dagegen tun, etwa durch Schulungen, wie man sexuelle Übergriffe verhindern könne. Wichtig sei auch der Mut, Konflikte einzugehen. Er sage daher auch Studierenden: "Scheut euch nicht, die Kirche zu kritisieren! Nur dann können wir sie verändern."

Generell werde das Thema verdrängt - und zwar von "allen", so Zollner. Auch Medien täten sich schwer damit, "kontinuierlich dranzubleiben. Und die meisten Menschen, die selbst nicht davon betroffen sind, wehren das Thema als unangenehm und belastend ab." Seiner Erfahrung nach seien die Vorreiter von Aufklärung und Prävention stets Betroffene gewesen.

Blick nach außen "nicht hilfreich"

Hinweise von Kirchenvertretern darauf, dass Missbrauch auch außerhalb der Kirche verbreitet sei, finde er "nicht hilfreich", mahnte der Experte. Natürlich kenne er solche Zahlen und wisse, dass die Weltgesundheitsorganisation warne, dass zehn bis fünfzehn Prozent aller Unter-18-Jährigen sexuelle Gewalt erleiden: "Aber hilft das den Opfern der Kirche? Nein."

Zollner leitet das "Institut für Anthropologie - Interdisziplinäre Studien zu Menschenwürde und Sorge für schutzbedürftige Personen" an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom. Es wurde 2021 in Nachfolge des seit 2012 bestehenden Kinderschutzzentrums gegründet, dessen Leiter Zollner bis dahin war. Der deutsche Theologe und approbierte Psychotherapeut gilt als Experte für die Prävention von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche.

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