Wolfgang Krinninger zur Lage der katholischen Kirche

Kirche mit Zukunft? Wie aus einem Albtraum ein Traum werden kann

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Eine schlechte Nachricht jagt die andere in der katholischen Kirche. Frust macht sich breit. Wie können wir da optimistisch in die Zukunft blicken? Indem wir „klein“ anfangen, kommentiert Journalist Wolfgang Krinninger.

Ich versuche aus dem Stollen herauszukommen. Erst laufe ich, dann muss ich den Kopf einziehen, weil der Gang immer niedriger wird. Schließlich geht es nur noch auf allen Vieren weiter. Ich robbe. Ich krieche. Ich stecke fest. Panik. Es wird dunkel – und ich wache schweißgebadet auf in einer idyllischen Pension im Schwarzwald.

Der Traum verfolgt mich seit dem 25. September 2011. Ich weiß das noch, weil ich wenige Stunden zuvor Zeuge eines kirchenhistorischen Ereignisses geworden war: Papst Benedikt XVI. hatte im Freiburger Konzerthaus seine berühmte „Entweltlichungsrede“ gehalten. In der „bestens organisierten“ katholischen Kirche Deutschlands gebe es einen „Überhang an Strukturen gegenüber dem Geist“, war sein zentraler Vorwurf.

Kirche im Strudel des Niedergangs

Der Autor
Wolfgang Krinninger (56) ist Chefredakteur des Passauer Bistumsblattes und Autor mehrerer Bücher. Er lebt mit seiner Familie auf einem Bauernhof im Bayerischen Wald.

Ich erinnere mich, dass Thomas Gottschalk in einer der ersten Reihen saß. Und dass eine Frau neben mir am Ende fassungslos war: „Hier sind so viele Menschen im Saal, die sich für ihre Kirche einsetzen und er hat kein gutes Wort für uns übrig.“

Es war wohl Zufall, dass der Traum sich ausgerechnet in dieser Nacht in meinem Schlaf eingenistet hatte. Das Leben ging weiter und meinte es oft gut mit mir. Doch meine Kirche geriet in den folgenden Jahren, ausgelöst vor allem durch die Missbrauchsskandale, immer tiefer in einen Strudel des Niedergangs, der Hoffnungslosigkeit, der Zerstrittenheit. Es vergeht kaum eine Woche ohne eine neue Hiobsbotschaft. Das lastet auf allen, die Kirche als Raum der Barmherzigkeit, Nächstenliebe und Hoffnung, als Seelenort kennenlernen durften und die sich nun immer häufiger für ihre Treue zur Kirche rechtfertigen müssen.

Über den eigenen Schatten springen

Mit jedem Kirchenchor, der aufhört, mit jedem Kirchgänger, der fernbleibt, mit jedem Kirchenmitglied, das sich abwendet, wird es noch leerer, stiller, trister. Und mit jedem Pfarrer, der sich gefrustet in Zynismus flüchtet, verkümmert die Seelsorge mehr.

Wie sollen wir so niedergedrückt den Blick auf den Mann am Kreuz finden? Auf den „wesentlichen Grund, um in den Tag zu gehen und bis zum Abend weiterzumachen“, wie Eugen Drewermann einmal geschrieben hat? Auf den, dessen „Liebt einander!“ trägt – auch nach unruhigen Nächten?

Vielleicht hilft es ja, „klein“ anzufangen, mit weniger Ideologie und mehr Versöhnung. Hören wir uns zu, springen wir über den eigenen Schatten, bauen wir uns gegenseitig auf und schauen wir miteinander nach vorn. Klingt einfach. Traumhaft.

In unseren Gast-Kommentaren schildern die Autor:innen ihre persönliche Meinung zu einem selbst gewählten Thema. Sie sind Teil der Kultur von Meinungsvielfalt in unserem Medium und ein Beitrag zu einer Kirche, deren Anliegen es ist, die Zeichen der Zeit zu erkennen.

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