Münchner Erzbischof bittet Betroffene erneut um Verzeihung

Marx ein Jahr nach Missbrauchsgutachten: Wir handeln jetzt anders

  • Das Erzbistum München zieht Bilanz ein Jahr nach Vorstellung seines Missbrauchsgutachtens.
  • Kardinal Reinhard Marx sagte zu, "jetzt und zukünfig" anders zu handeln.
  • Ein Betroffenensprecher bescheinigt dem Erzbistum, es sei durchaus "eine Menge" passiert.

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Der Münchner Kardinal Reinhard Marx hat erneut darum gebeten, Hinweise auf mögliche Fälle sexualisierter Gewalt in der Kirche zu melden. "Wir bitten alle, die von Grenzverletzungen, Missbrauch und sexuellen Übergriffen durch kirchliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter betroffen sind, sich bei den externen unabhängigen Ansprechpersonen zu melden", sagte er in der Katholischen Akademie München. Marx und weitere leitende Mitarbeitende des Erzbistums zogen vor Journalisten eine erste Bilanz rund ein Jahr nach der Vorstellung des zweiten Münchner Missbrauchsgutachtens durch externe Rechtsanwälte.

Marx sagte, die Perspektive der Betroffenen sei anfangs zu wenig berücksichtigt worden. Dies sei "unser größtes Defizit" gewesen: "Das müssen wir als Kirche, das muss ich als Erzbischof selbstkritisch einräumen."

Marx: Stehe als Erzbischof in der Verantwortung

Für das bei Betroffenen entstandene Leid bat Marx erneut um Verzeihung. Er werde dafür als Erzbischof stets in der Verantwortung stehen: "Ich kann Geschehenes nicht rückgängig machen, aber jetzt und zukünftig anders handeln. Und das tue ich!"

Laut dem Kardinal "sind und bleiben" Prävention und Aufarbeitung zentrale Aufgaben der Kirche. Marx dankte Betroffenenbeirat und unabhängiger Aufarbeitungskommission.

Anrufe und Meldungen nach Vorlage des Gutachtens

Dem Erzbistum zufolge gingen nach Vorstellung des Gutachtens der Kanzlei Westpfahl-Spilker-Wastl am 20. Januar 2022 bei der neu eingerichteten Anlauf- und Beratungsstelle 316 Anrufe ein. Dabei habe es sich nicht nur um Missbrauchsbetroffene gehandelt, die Stelle sei etwa auch für Angehörige ansprechbar. Viele Anrufe stammten auch aus anderen Bistümern. Seit Veröffentlichung des Gutachtens seien zudem 57 Meldungen bei der unabhängigen Ansprechperson für die Prüfung von Verdachtsfällen eingegangen - darunter auch Hinweise zu bereits bekannten Fällen, hieß es.

Dem vom Erzbistum in Auftrag gegebenen Gutachten zufolge gab es von 1945 bis 2019 Hinweise auf mindestens 497 Betroffene sexualisierter Gewalt in der Diözese. Die meisten Taten passierten von Anfang der 1960er- bis Mitte der 1970er-Jahre. Vorwürfe wurden auch gegen den inzwischen verstorbenen emeritierten Papst Benedikt XVI. erhoben: Er soll als Münchner Erzbischof (1977-1982) in vier Fällen nicht ausreichend gegen Täter vorgegangen sein.

Betroffene: Es hat sich durchaus etwas getan

Vor wenigen Tagen hatte der Sprecher des Münchner Betroffenenbeirats, Richard Kick, ein gemischtes Fazit gezogen. Es habe sich seit Vorlage des Gutachtens durchaus eine "ganze Menge" getan, sagte Kick der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Veranstaltungen hätten stattgefunden, ebenso eine Anhörung Betroffener.

Für die weitere Missbrauchs-Aufarbeitung setzt Kick vor allem auf die Politik. Er hoffe darauf, "dass es bald eine vom Freistaat eingerichtete Anlaufstelle für Missbrauchsbetroffene gibt, aus allen gesellschaftlichen Bereichen, nicht nur zentral in München oder in den Großstädten, sondern flächendeckend in ganz Bayern".

Wünsche der Betroffenen an Marx

Als gut wertete der Sprecher die Zusammenarbeit mit der aktuellen Münchner Bistumsspitze, mit Generalvikar Christoph Klingan und Amtschefin Stephanie Herrmann: "Da spüren wir starke Unterstützung."

Kardinal Marx beanspruche beim Thema Missbrauch eine "gewisse Lernkurve für sich. Wir Betroffenen würden uns wünschen, dass diese noch weiter nach oben geht."

Aus Gesprächen mit diesen wisse er, dass es deren sehnlichster Wunsch sei, der Kardinal möge sich persönlich bei ihnen entschuldigen und Verantwortung übernehmen auch für Geschehnisse vor vielen Jahren: "Er war zwar damals noch gar nicht zuständig, aber er spricht heute selbst davon, dass er sich in einer institutionellen Verantwortung sieht."

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