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Es muss höllisch wehtun. Der Papst weiß, wovon er spricht, wenn er Ischias-Schmerzen zu seinen seiner schlimmsten Erfahrungen zählt. Jetzt hat ihn das Leiden wieder eingeholt. Und mit ihm die Frage der Amtstauglichkeit.
Papst Franziskus lässt sich nichts anmerken - kein Zucken, kein Stöhnen. Beim Mittagsgebet am Sonntag ging der 84-Jährige mit keiner Silbe auf seine neuerliche Ischialgie ein, eine äußerst schmerzhafte Nervenreizung, die von den Lendenwirbeln in die Beine ausstrahlt. Dabei sind die Beschwerden offenbar stark genug, um das Kirchenoberhaupt zur Absage mehrerer Termine zu nötigen. Und es ist schon das zweite Mal binnen vier Wochen, dass er so außer Gefecht gesetzt wird.
Am Samstagabend teilte ein Sprecher mit, der Papst könne die für den Morgen geplante Messe im Petersdom nicht feiern. Es war der Sonntag des Wortes Gottes, ein von Franziskus eingeführter Kampagnentag. Die Predigt hatte er vorbereitet. Erzbischof Rino Fisichella, Präsident des Rates für die Neuevangelisierung, trug sie für ihn vor und leitete den Gottesdienst.
Papst lässt bedeutende Zeremonien ausfallen
Montag sollte der Neujahrsempfang für das Diplomatische Corps stattfinden, ein Anlass, bei dem das Kirchenoberhaupt üblicherweise wichtige politische Anliegen vorträgt. Er wurde auf unbestimmte Zeit verschoben. Den Abschluss der weltweiten Gebetswoche für die Einheit der Christen, ebenfalls Montag, übernimmt in der römischen Basilika Sankt Paul vor den Mauern stellvertretend der Ökumene-Beauftragte Kardinal Kurt Koch.
Das Ischias-Leiden erwischte Franziskus zuletzt an Silvester, so dass er der Dankvesper zum Jahresschluss und der Neujahrsmesse fernblieb. Es war das erste Mal überhaupt, dass er als Papst bedeutende Zeremonien ausfallen ließ. Ansonsten entschuldigte er sich nur vergangenen März von den Fastenexerzitien der Kurie in Ariccia; Grund war eine Erkältung.
Der Auslöser der Ischialgie des Papstes
Dass Franziskus nicht gut zu Fuß ist, ist offenkundig: Er hinkt rechts etwas, trägt orthopädische Schuhe und verzichtet seit Jahr und Tag auf die liturgisch vorgesehenen Kniebeugen. Auch aus dem Problem mit dem Ischias-Nerv machte er kein Geheimnis. Im Juli 2013 bekannte er, das Schlimmste, was ihm in den Monaten seit der Papstwahl widerfahren sei, sei eine heftige Schmerzattacke im Rücken.
Eine Häufung solcher Vorfälle mag die Frage wecken, wie fit der Papst für seine Aufgabe ist. Dabei ist das Amt auf dem Stuhl Petri eine vorwiegend sitzende Tätigkeit. Als Auslöser der Ischialgie von 2013 machte Franziskus selbst einen für ihn ungeeigneten Sessel aus.
Schwere Gewänder bei hohen Temperaturen
Während langer Begrüßungsparcours in früheren Jahren war zu beobachten, wie Franziskus sich nach unzähligem Händeschütteln den rechten Unterarm mit der Linken hielt. In einer Videobotschaft zuckte einmal seine Rechte wie unkontrolliert zur Seite. Bekanntheit fand eine Szene vom Silvesterabend 2019, als eine Frau in der Menge Franziskus an der Hand packte und heranzerrte. Der Papst verzog das Gesicht schmerzhaft und schlug im Reflex auf den Arm der Besucherin.
Auf solche Empfindlichkeiten kann sich das Protokollamt einstellen. Schwieriger wird es mit zeremoniellen Pflichten, vor allem den Liturgien. Gottesdienste in schweren Gewändern und bei hohen Temperaturen strengen Franziskus sichtlich an. Nicht umsonst benutzten Päpste vergangener Jahrhunderte die Sedia gestatoria, einen Tragesessel - anders hätte mancher Pontifex, teils gichtkrank und übergewichtig, mit einem halben Zentner Brokat am Leib die Feiern kaum würdig überstanden.
Das Papstamt lebt von der Sichtbarkeit
Auch hier sind individuelle Lösungen möglich. In der letzten Phase der Amtszeit von Benedikt XVI. kam ein rollbares Podest für die langen Wege im Petersdom zum Einsatz. Manche Veranstaltungen wie die wöchentlichen Katechesen oder das sonntägliche Mittagsgebet lassen sich unter bequemeren Umständen für den Papst komplett per Video abhalten. Gottesdienste können, wie die Ischias-bedingten Ausfälle zeigen, auch von anderen Bischöfen geleitet werden.
Dennoch lebt das Papstamt von der Sichtbarkeit. Das ist ein Grund, weshalb Franziskus Anfang März eine Reise in den Irak plant, die erste Auslandsvisite seit anderthalb Jahren. Es wird ein dichtes Programm über vier Tage mit langen Flügen, einer anderen Zeit- und Klimazone, vielen Ortswechseln und wenig Privatheit - kein Spaziergang für einen betagten Mann.
Eigene Schwächen und Grenzen anerkennen
Als Jesuit ist Franziskus in Achtsamkeit sich selbst gegenüber geschult. Immer wieder predigt er, wie notwendig und heilsam es sei, eigene Schwächen und Grenzen anzuerkennen. Er selbst kehrt bescheiden oder heroisch seine Befindlichkeit unter den Teppich des Privaten.
Aber auch ihm ist sicher bewusst, dass die Leitung der Weltkirche neben geistiger Klarheit auch ein Maß an körperlicher Robustheit verlangt. Im Februar 2013 erklärte Benedikt XVI. vor den Kardinälen, dass seine Kräfte „infolge des vorgerückten Alters nicht mehr geeignet sind, um in angemessener Weise den Petrusdienst auszuüben“. Der böse Ischias rührte sich bei Franziskus einen Tag nachdem er die Amtsdauer seines Vorgängers überholt hatte.