Tom Hegermann über die Anstrengung, auf Dummheit und Rücksichtlosigkeit zu reagieren

Pöbeleien im Netz: Lasst euch nicht zu Hass provozieren!

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Die ewigen bösen, dummen, provozierenden Pöbeleien im Netz – gar nicht so einfach, da gelassen und überlegt zu reagieren. Umso wohltuender waren da die Anti-Rechts-Demos der letzten Wochen, sagt Tom Hegermann im Gast-Kommentar. Aber eine Sache habe auch da nicht gepasst.

Neulich war es wieder so weit: Ich hatte irgendetwas Politisches im Internet gepostet, schon pöbelte mich irgendein wildfremder Mensch ausgesprochen bösartig an. Leider kann ich über so etwas nicht lachen. Ich kann auch nicht einfach den Kopf darüber schütteln und es achselzuckend geschehen lassen. Im Gegenteil: Je widerlicher ein Kommentar ist, desto mehr rege ich mich auf.

Auch in diesem Fall. Ruckzuck war meine Antwort fertig: „Sie sollten endlich regelmäßig Ihre Medikamente nehmen.“ Ich hatte schon fast die Return-Taste gedrückt, da sagte zum Glück eine Stimme in meinem Hinterkopf: „Aber das bist doch nicht du!“ Ich hab die Antwort dann schnell gelöscht.

Vor lauter Wut nicht mehr ich selbst

Der Autor
Tom Hegermann hat als Journalist unter anderem 25 Jahre lang im Radioprogramm von WDR 2 moderiert. Heute arbeitet er vor allem als Moderator von Veranstaltungen und als Trainer rund um das Thema „Handwerk fürs Mundwerk“.

Aber trotzdem ist das ja ein Problem, das in den aktuellen Debatten immer wieder auftaucht. Wenn wir unterirdisch angegriffen werden, ist unser erster Impuls in der Regel leider nicht: „Diese arme Seele. Ich werde der jetzt mal in Ruhe die Fakten erläutern und sie dann heimleuchten in unsere demokratische Mitte.“ Tatsächlich ist der erste Impuls in der Regel der Versuch, noch bösartiger, noch rücksichtsloser zu sein. Nach dem Motto: „Dir zeig’ ich es jetzt!“

Und schon hat der andere Erfolg gehabt. Hat erreicht, dass ich vor lauter Wut nicht mehr ich selbst bin. Oder sich eine Seite von mir zeigt, die ich tunlichst unter Verschluss halten sollte.

Ohne Schaum vorm Mund

Hass steckt an. Auch uns. Dummheit ebenso. Rücksichtslosigkeit auch. Eh wir uns versehen, haben wir uns verändert, verhärtet. Eben deswegen hat Wolf Biermann mal diese Zeilen gedichtet: „Du, lass dich nicht verhärten, in dieser harten Zeit.“

Lange war dieser Satz nicht mehr so richtig und so wichtig. Aber ebenso lange war es auch nicht mehr so schwer, sich nicht verhärten zu lassen, in seinen eigenen Überzeugungen zu ruhen, klar und deutlich die eigene Meinung zu vertreten. Ohne Schaum vorm Mund.

Das eine Plakat, das stört

Denn genau das müssen wir tun. Wir müssen glaubwürdig bleiben in unseren Worten, in unseren Argumenten, in unserem Handeln. Das kostet wahnsinnig viel Kraft. Und manchmal weiß ich nicht, woher ich die Kraft nehmen soll.

Eben deswegen haben die großen Demonstrationen der vergangenen Monate so gut getan. Das Wissen, dass wir nicht alleine sind. Das Wissen, dass wir hoffentlich doch noch die Mehrheit sind. Nur ein Plakat hat mich immer wieder gestört. Das hier: „Ganz Münster/Köln/Dortmund etc. hasst die AfD.“ Den Hass sollten wir den anderen überlassen.

In unseren Gast-Kommentaren schildern die Autor:innen ihre persönliche Meinung zu einem selbst gewählten Thema. Sie sind Teil der Kultur von Meinungsvielfalt in unserem Medium und ein Beitrag zu einer Kirche, deren Anliegen es ist, die Zeichen der Zeit zu erkennen.

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