„Leuchtturmprojekt“ in Gelsenkirchen

Politik freut sich auf Turmspitze - Propst: Kriegswunde bleibt sichtbar

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In der Kirchengemeinde gibt es kritische Stimmen, in der Lokalpolitik nicht: Die zuständige Bezirksvertretung findet die Pläne für eine künstlerisch gestaltete Kirchturmspitze auf der St.-Urbanus-Kirche in Gelsenkirchen-Buer gut. Inzwischen gibt es auch einen Zeitplan.

Die St.-Urbanus-Kirche in Gelsenkirchen-Buer hat ein markantes Flachdach und keine Spitze, weil die am Ende des Zweiten Weltkriegs von amerikanischen Einheiten abgeschossen worden und anschließend, zunächst aus Geldmangel, nicht wieder aufgebaut wurde. Fortan galt das Flachdach vielen als Mahnmal gegen den Krieg. Entsprechend hat der Anfang des Jahres bekannt gewordene Plan, der Kirche wieder einen Turm in Form einer künstlerisch gestalteten Lichtinstallation zu geben, nicht nur Anhänger. Das Werk des ortsansässigen Künstlers Christian Nienhaus (Kostenpunkt 1,5 Millionen Euro) soll nicht aus Kirchensteuermitteln, sondern privat mithilfe einer Stiftung finanziert werden.

Wie die WAZ jetzt berichtet, ist jedenfalls von politischer Seite kein Gegenwind für das Projekt zu erwarten. Bei einer Vorstellung der Pläne in der Bezirksvertretung Gelsenkirchen-Nord sprach der CDU-Vertreter von einer „hervorragenden“ Idee, seine FDP-Kollegin war „begeistert“, ähnlich äußerten sich SPD und Grüne. Propst Markus Pottbäcker ging dem Bericht zufolge auf die Mahnmal-Funktion des Flachdachs ein: „Mir ist wichtig, dass es keine Rekonstruktion des alten Turmes ist“, so der Geistliche über das geplante Kunstwerk. „Es gibt einen Grund, warum der Turm weg ist: Die Kriegswunde muss sichtbar bleiben.“

„Melchior“ soll in verschiedenen Farben leuchten

Geplant ist bekanntlich ein kinetisches Objekt aus Stahl, das die Turmspitze simuliert. Der „Melchior“, wie das Kunstwerk genannt wird, soll in verschiedenen Farben leuchten, die je nach Anlass gesteuert werden können, vor allem aber in ihren fünf Ebenen den fünf Glocken im Turm angepasst sein sollen. Künstler Christian Nienhaus hatte die Pläne bereits im Gespräch mit Kirche+Leben erörtert. Nienhaus plant demnach ein Stahlobjekt, das dem Stil der Neugotik nachempfunden ist – auch St. Urbanus sei ja ein neugotischer Bau, erinnert der Künstler.

Gleichzeitig, so Nienhaus jetzt in der Bezirksvertretung, liefere die Stahlkonstruktion aber auch Anklänge an den Industriebau – „die Fördertürme waren ja auch nicht verkleidet.“ Bereits im Gespräch mit Kirche+Leben hatte er auf eine besondere Symbolik hingewiesen: Mit dem „Melchior“ wäre der Urbanus-Kirchturm 104,80 Meter hoch: Diese Zahl entspricht der Fläche Gelsenkirchens in Quadratkilometern.

Material gibt es teils zum Selbstkostenpreis

Nienhaus nannte laut WAZ-Bericht auch praktische Details. „Ich habe schon mit Vertretern der Firmen ThyssenKrupp, Zinc und ELE gesprochen, die sich alle an dem Projekt beteiligen würden. Zum Teil würden die uns auch Material für das Kunstwerk zum Selbstkostenpreis zur Verfügung stellen.“ Der Künstler sagte zum Zeitplan, wenn es grünes Licht gebe, bräuchte es von dann an sechs bis sieben Monate, bis der Stahl bestellt sei, dann noch einmal vier bis fünf Monate, um den „Melchior“ zu bauen.

„Die eigentliche Montage auf dem Turm kann an einem Tag erfolgen, mithilfe eines Hubschraubers“, so Nienhaus. Vorher müsste dem Turm aber noch eine Betondecke aufs Flachdach gesetzt werden, in der dann die Stahlkonstruktion verankert werden kann. Diese sei von außen nicht sichtbar – mit der Denkmalbehörde sei man ohnehin im Gespräch.

Pfarrgemeinderats-Protokoll: „Sehr unterschiedliche“ Rückmeldungen

Ganz so einhellig positiv, wie man nach der Sitzung der Bezirksvertretung vermuten könnte, ist die öffentliche Meinung (auch in der Pfarrgemeinde) zum „Melchior“-Projekt allerdings nicht. Im Pfarrgemeinderat wurde Mitte Januar laut öffentlich einsehbarem, von Propst Pottbäcker geführten, Protokoll über das Thema „intensiv und anregend“ diskutiert. „Offizielle Reaktionen hat es bisher keine gegeben, Propst Pottbäcker erläutert noch einmal, dass es bisher noch kein reguläres Antragsverfahren an die Untere Denkmalbehörde gibt und von daher die Bedenken der UDB auch keine Ablehnung darstellen“, heißt es in dem Protokoll. Wie auch Kirche+Leben berichtete, hatte sich die Denkmalbehörde zu den ihr bisher bekannten Plänen kritisch geäußert.

Ansonsten seien laut Protokoll „die Rückmeldungen sehr unterschiedlich; nach Einschätzung der Anwesenden halten sich positive wie negative Einschätzungen die Waage“. „Hilfreich“ wäre laut Protokollnotiz „eine Art konzeptionelle Argumentationshilfe, die auch pastorale Gedanken und Erwägungen beinhaltet (bspw. Warum will Kirche das? Was hat das mit Kirche zu tun? Kirchensteuermittel fließen dort nicht ein! …)“.

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