Untersuchungskommission: „Schwächen bei Bischof M.“

Regensburger Domspatzen: Bis zu 700 Missbrauchsopfer, 49 Beschuldigte

Nach zwei Jahren hat eine vom Bistum Regensburg eingesetzte Aufarbeitungskommission ihre Arbeit beendet. Fazit: Mindestens 567 Missbrauchsopfer unter den Domspatzen, Vorwürfe gegen „Domkapellmeister R.“ und „Bischof M.“.

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Die Untersuchung der Misshandlungs- und Missbrauchsvorwürfe beim weltberühmten Chor den Regensburger Domspatzen ist nach zwei Jahren beendet: Der vom Bistum Regensburg beauftragte unabhängige Sonderermittler Ulrich Weber bezifferte die Zahl der von ihm ermittelten Opfer am Dienstag in Regensburg auf 547. Weber sagte vor Journalisten, er gehe weiter von einer Dunkelziffer in Höhe von rund 700 Opfern aus. Der rund 450 Seiten starke Bericht wurde im Internet veröffentlicht.

Demnach haben 500 Domspatzen seit 1945 körperliche Gewalt erlitten, 67 sexuelle Gewalt. Betroffen sind laut Bericht alle Institutionen, also Schulen, Internate und die Musikerziehung. Von den als „hoch plausibel“ ermittelten 49 Tätern seien 9 sexuell übergriffig geworden. Unter den Tätern seien Internatsdirektoren, ein Vorschuldirektor, Präfekten und viele Angestellte vertreten.

 

„Hölle“, „Konzentrationslager“

 

Schwerpunktmäßig haben sich die Taten in den 1960er und 1970er Jahren ereignet. Bis 1992 sei durchgängig von körperlicher Gewalt berichtet worden. Die Opfer hätten die Vorschulen in Etterzhausen und Pielenhofen als „Hölle“, „Gefängnis“ oder „Konzentrationslager“ beschrieben, heißt es. Physische Gewalt sei „alltäglich, vielfach brutal“ gewesen, zwischen Regelverstößen und Strafen habe „meist ein grobes Missverhältnis“ bestanden. Alle Vorfälle seien zu ihrer Zeit „mit wenigen Ausnahmen verboten und strafbar“ gewesen.

„Nahezu alle Verantwortungsträger“ bei den Domspatzen hätten zumindest ein „Halbwissen“ von den Gewaltvorfällen gehabt, am Thema jedoch wenig Interesse gezeigt. Der Schutz der Institution habe im Vordergrund gestanden. Opferschicksale seien ignoriert, Beschuldigte teilweise geschützt worden, hieß es.

 

„Wegschauen“ bei „Domkapellmeister R.“

 

Insbesondere „Domkapellmeister R.“ sei sein „Wegschauen“ und fehlendes Einschreiten „trotz Kenntnis“ vorzuwerfen. Es hätten sich jedoch keine Erkenntnisse ergeben, dass R. von sexueller Gewalt gewusst habe, präzisierte Weber auf Nachfrage. „Pflichtverstöße“ der Eltern und „Versäumnisse“ der kirchlichen und staatlichen Aufsichtsbehörden hätten mit dafür gesorgt, dass keine Maßnahmen gegen die Gewalt ergriffen worden seien.

Webers Bericht hält fest, dass „Bischof M.“ im Jahr 2010 den Aufarbeitungsprozess initiiert habe. M. habe jedoch die Verantwortung für „strategische, organisatorische und kommunikative Schwächen“ in diesem Prozess. Diese seien unter seinem Nachfolger, „Bischof V.“, behoben worden. Mitte 2015 habe mit der Beauftragung einer unabhängigen Instanz zur Aufklärung sowie der direkten Einbindung von Opfern in die Aufarbeitung ein Paradigmenwechsel stattgefunden.

Heute seien bei den Domspatzen organisatorische Schwachstellen behoben, die Pädagogik zeitgemäß, die Präventionskonzepte aktuell. Es gebe eine „hohe Sensibilität für die Thematik“. Weber äußerte den Wunsch, dass seine Aufklärung zur Befriedung aufseiten der Opfer beitrage.

 

Generalvikar: „Wir haben alle Fehler gemacht“

 

In einer gesonderten Pressekonferenz räumte der Regensburger Generalvikar Michael Fuchs Versäumnisse ein. „Wir haben alle Fehler gemacht, viel gelernt und sehen heute, dass wir früher manches hätten besser machen können“, sagte er. Dies sehe auch Kardinal Müller heute so. Den Medien attestierte Fuchs einen „wichtigen Anteil“ an der Aufklärung. Insbesondere durch die „gute Begleitung“ der in den vergangenen zwei Jahren eingeleiteten Schritte sei das „Glaubwürdigkeitsproblem“ des Bistums überwunden worden.

Das Bistum hat ihnen unter anderem sogenannte Anerkennungsleistungen zwischen 5.000 und 20.000 Euro pro Person zugesagt. Darüber wird auf Grundlage von Webers Bericht in einem gesonderten Gremium entschieden. Bisher sind dort nach Angaben von Beteiligten 300 Anträge gestellt worden. Schätzungsweise würden insgesamt 2 bis 3 Millionen Euro ausgezahlt. 

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