Abtei liegt nahe der Grenze zum Bistum Münster

So weben die Benediktinerinnen von Mariendonk Messgewänder

Traditionell werden am Niederrhein kostbare Messgewänder gewebt - zum Beispiel im Kloster Mariendonk. Ein Besuch bei den Benediktinerinnen an der Grenze zum Bistum Münster.

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Schwester Regina kommt vom Zahnarzt, aber lächelt tapfer. Sie nimmt ihren alten Fingerhut und legt los. Am Ende wird der Kunde nicht sehen, an welcher Stelle des Messgewands sie die Zähne zusammenbeißen musste. Schwester Regina arbeitet in der Näherei der Abtei Mariendonk in Grefrath bei Kempen, nahe der Grenze zum Bistum Münster.

Spezialisiert haben sich die Benediktinerinnen hier auf die Theologie der Kirchenväter - und auf die Paramentenherstellung, bei der sich Handwerk und theologische Gedanken berühren. Seit 1939 besteht die Stickerei, seit 1957 die Weberei.

 

Lebendige Tradition

 

Am Niederrhein werden traditionell kostbare Messgewänder gewebt; ein Erbe der Religionskriege in Europa. Kloster Mariendonk hält diese Tradition lebendig.

Seidenregion Niederrhein
Das niederrheinische Krefeld gilt als Seidenstadt. Seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wurden hier kostbare Stoffe produziert. Im seit 1598 für neutral erklärten Krefeld siedelten sich freikirchliche Mennoniten an, die andernorts in Europa verfolgt wurden.

Die Mennoniten waren geschickte Weber und verfügten über beste Handelsbeziehungen zur Beschaffung von Seide, Brokat und anderen Rohstoffen. Im Zuge der französischen Besetzung der Rheinlande (1798-1814) wurden die Zünfte aufgehoben. Die damit verbundene Gewerbefreiheit gab der Krefelder Seidenfabrikation weiteren Auftrieb.

Die Entwicklung besonderer Stoffe zur Herstellung von liturgischen Gewändern setzte bereits im 18. Jahrhundert ein. 1852 löste eine international erfolgreiche Krefelder Ausstellung eine Gründungswelle spezialisierter Paramenten-Webereien aus.

Zur Zeit Papst Leos XIII. exportierten Krefelder Webereien Kostbarkeiten in den Vatikan und sogar bis in die USA. Sie erhielten Goldmedaillen bei den Weltausstellungen von Chicago 1893 und Paris 1900. Als eine Prozession beim Eucharistischen Weltkongress 1926 in Chicago vom Regen überrascht wurde, liefen viele Farben aus und boten einen kläglichen Anblick. Nur die Jacquard-Stoffe der niederrheinischen Weber blieben farbecht.

Die Kombination von Stickerei und handgewebten Stoffen aus einer Hand und in höchster Qualität nennt die Webmeisterin und Leiterin Paramentik, Schwester Mirjam Pesch, „nur ganz selten“. Andere Werkstätten machten entweder Weberei oder Stickerei.

 

Konkurrenz der Großhersteller

 

Die größten Konkurrenten seien aber vor allem die Kataloge von Großherstellern, die teils in Osteuropa fertigen lassen. In Mariendonk kann es dagegen vom ersten Kontakt bis zum fertigen Gewand ein halbes Jahr dauern. Dafür seien viele Gespräche und auch Gebete nötig, so Schwester Mirjam.

Manchmal gebe es auch eher schwierige Kundenwünsche. Natürlich müsse man den Geschmack des Kunden respektieren, sagt die Webmeisterin diplomatisch. Aber: „Ein Priester ist keine Litfaßsäule, auf die man seine Botschaft allzu plastisch draufpacken kann.“ Kelch, Hostie oder ein blutender Christus gehörten nicht aufs Messgewand.

 

Darstellungen im Wandel der Zeit

 

Solche bildlichen Darstellungen stammen vor allem aus der Zeit, als der Priester noch mit dem Rücken zur Gemeinde stand und auf Latein sprach - was die meisten Gläubigen nicht verstanden. Anschauen zum Zeitvertreib; der Pfarrer als „Armenbibel“, wie ein Kirchenfenster. „Da ist auch schon mal Überzeugungsarbeit nötig“, meint Schwester Mirjam. Zwar hätten Pfarrer einen „starken Willen“ - sie seien aber „in der Regel mit guten Argumenten belehrbar“.

Die heute 56-Jährige kam 1980 nach Mariendonk, im selben Jahr wie die Stickmeisterin, Schwester Petra Zander. Ihre Gesellenprüfung absolvierten die beiden in Düsseldorf, die Meisterprüfung Anfang der 90er Jahre in München.

 

Immer weniger Aufträge

 

Doch die Auftragslage ist schwieriger geworden. Die Zahl der Neupriester sinkt. Pfarreien werden zusammengelegt. Die Paramentenschränke in den Pfarrhäusern sind voll - auch wenn die gestalterische Qualität häufig zu wünschen übrig lässt.

In den 60er Jahren propagierte das Zweite Vatikanische Konzil die Rückkehr zur Einfachheit - und löste eine Krise dieses Kunsthandwerks aus. Nach der Liturgiereform war historischer Pomp verpönt.

 

Individuelles Gewand ab 1.000 Euro

 

Unter Johannes Paul II. und Benedikt XVI. sei die Wertschätzung liturgischer Gewänder zwar wieder gewachsen, sagt Schwester Mirjam. Doch Papst Franziskus mit seinem Eintreten für radikale Bescheidenheit regt heute offenbar noch weniger Geistliche an, kostbare und künstlerisch gestaltete Gewänder zu bestellen, die sie, sozusagen gut betucht, durch ein ganzes Priesterleben begleiten.

Beim Sticken. | Foto: KNA
Beim Sticken. | Foto: KNA

Die Preise für ein individuelles Exemplar liegen zwischen 1.000 und 3.000 Euro. Die Kundschaft reicht von München über das Eichsfeld bis nach Hamburg und von Schweden bis in die USA. Auch die Ritter vom Heiligen Grab zu Jerusalem gehören dazu.

 

60 Paramente entstehen in guten Auftragsjahren

 

In guten Jahren wurden in Mariendonk 50 bis 60 Paramente gefertigt. In schlechten - so wie derzeit - sind es 25 bis 30. „Wir sind auch ein Wirtschaftsbetrieb“, sagt Schwester Mirjam.

Herzstück der Werkstätten ist die Weberei, ein verwirrendes Labyrinth der Fäden, ein Universum von Balken, Spindeln und Walzen. Fünf meterhohe hölzerne Webstühle stehen bereit; es sind also mehrere Projekte gleichzeitig möglich. Fast ausschließlich wird in Mariendonk mit Seide gearbeitet.

 

Tausende Fäden, einzeln verknotet

 

Eine Webkette kostet mindestens 2.000 Euro und hält zwei Jahre. „Diese Kette hier besteht aus 3.484 Fäden“, sagt Schwester Mirjam - und fügt lakonisch etwas Unglaubliches hinzu: „Allein die Einrichtung der Kette dauert zwei Wochen, mit mehreren Personen.“ Beim Aufspannen müssen alle 3.484 Fäden einzeln verknotet werden!

Ein Pedaltritt, und der Webstuhl hebt einige Kettfäden an, die anderen bleiben liegen; so entsteht später das Muster. Durch den schmalen Zwischenraum wirft die Weberin den „Schützen“, eine Art Schiffchen, der den sogenannten Schussfaden enthält: Damit werden die Kettfäden durchwirkt.

 

Ein Klang wie beim Tischkicker

 

Dann ein Tritt aufs rechte Pedal: die seitliche Bindung. Schließt man die Augen, so hört sich das ein bisschen wie Tischkickern an - nur regelmäßiger. Schuss um Schuss - ein lautes, rhythmisches Klackern. Was so harmonisch und einfach aussieht, erfordert in Wahrheit eine Menge Übung.

Anschließend werden die gewebten Stoffe in der Stickerei weiterverarbeitet. Der Webstoff ist weitestgehend flach; die Stickerei macht sie plastischer. Der Kunde entscheidet, was und wieviel davon er will.

 

Liturgische Farben - und Gold

 

Hunderte Bobinen, kleine Röllchen mit feinster aufgedrehter Seide, in allen Farben des Regenbogens, sind in den Schränken ordentlich sortiert. Es dominieren die liturgischen Farben des Kirchenjahres: Weiß für die Freude an Weihnachten, Ostern und anderen Hochfesten, Violett für die Buße der Advents- und Fastenzeit, Schwarz für die Trauer, Grün für den liturgischen „Alltag“, schließlich Rot für das Feuer von Pfingsten und das Blut des Karfreitags.

„Ich kann Ihnen auch Gold anbieten“, sagt Schwester Petra. Wer kann dazu schon nein sagen?

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