Macht, Partizipation und Gewaltenteilung in der katholischen Kirche

Thomas Söding: Frust hilft der Kirche nicht weiter

Der Theologe Thomas Söding hat klare Vorstellungen, wie sich Kirche ändern muss. Er arbeitet beim Synodalen Weg im Forum „Macht, Partizipation und Gewaltenteilung“ mit.

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Dass seine drei Söhne, allesamt um die 30 Jahre alt, noch eine reformierte Kirche erleben, ist für Professor Thomas Söding eine „absolute Bedingung“. Druck und Motivation zur Veränderung seien groß. „Mit dem Generationenwechsel wird es anders werden“, ist er zuversichtlich. Ganz ohne die Alten gehe es aber nicht. Sie seien nicht „unbedingt die Bremser“. Viele, die vom Zweiten Vatikanischen Konzil geprägt wurden, seien in ihren Vorstellungen jedoch enttäuscht worden. „Frust hilft aber nicht weiter“, sagt er.

Der in Münster lebende Professor für Neues Testament arbeitet an der Universität Bochum. Im Synodalen Weg sieht er „die starke Möglichkeit, etwas Substanzielles ändern zu können“. Söding ist Mitglied des Forums „Macht, Partizipation und Gewaltenteilung“.  Seinen Blick richtet er auf die Kirche vor Ort, in Münster, Deutschland, Europa. Die deutschen Katholiken „brauchen nicht bei allem auf ein Okay von Rom zu warten. Vieles ist Eigenrecht, diözesanes Recht. Die Kirche ist reich, stark und eng verbunden mit dem Staat.“ Eigene Wege seien offen und würden auch schon gegangen.

 

Über Priesterweihe von Frauen reden

 

Der Synodale Weg werde gebraucht, „um Diskussionen, die ohnehin stattfinden, einen Ort in der Kirche zu verschaffen“. Etwa die Frage der Priesterweihe von Frauen. „Ich wäre blind und taub, wenn ich nicht wahrnehmen würde, dass dieses Thema Menschen bewegt. Das können wir nicht draußen lassen.“

Für Söding ist der Synodale Prozess auch Politikum. Nur wenige Länder hätten Bischöfe und Laienorganisationen, die so sprechfähig seien wie in Deutschland. „Diese Riesen-Chance ist bislang nicht so genutzt worden, wie man es hätte tun können“, sagt er. Es sei Zeit, die „Mega-Themen“ anzugehen: eine andere Rollenverteilung zwischen Klerikern und Laien, eine veränderte Stellung der Frauen in der Kirche, eine größere Beteiligung des Kirchenvolks an den Entscheidungen. Mehr Demokratie,  Partizipation und Transparenz sind für Söding mit Kirche vereinbar.

 

 

Gigantische Idee des Christentums

 

Allerdings mag er keine Schwarzweiß-Zeichnungen. Er ist jemand, der alle Aspekte einer Sache abwägen will. „Manche sagen, die Kirche lebt von ihrer Vergangenheit, was ich nicht ganz glaube, was aber auch einen Teil Wahrheit hat“, ist so ein typischer Satz für ihn. Konflikte scheut er aber nicht: Dass es in Veränderungs-Zeiten Reibungen gibt, „gehört für mich zum Spiel. Da muss man die Nerven bewahren.“

Aufgewachsen ist Söding, Jahrgang 1956, in Hannover und Bad Harzburg. Klassisches Diaspora-Gebiet. „In meiner Kindheit habe ich die Kirche nie stark und mächtig erlebt“, sagt er. „Wir waren froh, wenn sie offen war, und sind gern hingegangen. Aber wir waren nicht gegen die Protestanten und die nicht gegen uns.“ 

 

Gott ist für alle da

 

Diese Freiheit war „für mich ein starker Grund, Theologie zu studieren“. Er wollte „back to the roots“ – zurück zu den Wurzeln des Christentums. „Nicht, weil ich da Ideale gesucht hätte, sondern weil es damals einen religiösen Aufbruch sondergleichen gab, mit einer gigantischen Idee: ein Gott für alle Menschen.“ So sieht der Neutestamentler auch seine Rolle im Synodalen Prozess: Er will die Rückbesinnung auf das Evangelium und seine Verheißung für alle Gläubigen, unabhängig von Stellung und Hierarchie.

Studiert hat Söding Theologie, Germanistik und Geschichte in Münster. 1985 folgte dort die Promotion zum Glaubensverständnis des Evangelisten Markus, 1991 die Habilitation über das Liebesgebot bei Paulus. Bald wurde er Professor für Religionspädagogik und Biblische Theologie an der Uni Wuppertal. Seit 2008 ist er Professor für Neutes­tamentliche Exegese und Theologie in Bochum.

 

Priester und Pastoralreferenten denken auf unterschiedlichen Ebenen

 

Die Liste seiner Ämter, Publikationen, Auslands-Vorlesungen und Ehrungen ist beachtlich.  Seit 2001 ist er Berater der Glaubenskommission der Deutschen Bischofskonferenz, ein Jahr später wurde er Diözesanleiter des Katholischen Bibelwerks im Bistum Münster, 2011 Konsultor des Päpstlichen Rats für Neuevangelisierung, 2016 Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK). Dass er „viel durch die Lande zieht“, ist bescheiden untertrieben.

Im Forum „Macht, Partizipation und Gewaltenteilung“ sieht er „die stärksten Handlungsoptionen und das höchste Druckpotenzial“ für den Reformprozess der deutschen Kirche. „Ich erlebe, dass es geradezu katastrophal irritierend ist, wenn ich mit Pries­tern darüber spreche, wie sie die Kirche und ihre Arbeit sehen, und dann mit Pastoralreferenten und Pastoralreferentinnen oder mit Lehrerinnen und Lehrern“, erklärt er. Deren Sichtweisen auf die Kirche und die anstehenden Herausforderungen stehen „in einem extremen Kontrast zueinander“. Die Berufsgruppen bewegten sich auf unterschiedlichen Schienen.

 

Was bedeutet Macht in der Kirche?

 

„Warum muss jeder Priester mittelständischer Unternehmer sein? Andere können das vielleicht besser“, gibt er ein Beispiel. Die unterschiedlichen Wahrnehmungen hätten Gründe – wieder so ein typischer Satz von ihm. Moralisieren will er nicht, sondern sachlich benennen, was im Argen ist. Das Hauptproblem liegt  seiner Ansicht nach in der Unklarheit der Rollen. „Es muss zu einen Reformprozess kommen, der Klarheit schafft.“

„Kirche ohne Macht gibt es nicht“, betont er. „Die Macht ist von Jesus selbst. Sie ist eine Vollmacht an seine Jünger, das Evangelium in Wort und Tat zu verkünden.“ Sie sei „eine Macht des Wortes, des Glaubens, des Vorbilds, des Ritus'“.

 

Priesteramt als erfolgreiches Karriere-Modell

 

Die „große Frage“ sei: „Wie kann die Macht so ausgeübt werden, dass sie nicht der Selbsterhöhung der Bevollmächtigten dient, sondern in jesuanischer Haltung Dienst ist?“ Der Dienst müsse sich zudem in der gegenwärtigen Gesellschaft ausdrücken, die große demokratische Erwartungen habe.

Im 19. Jahrhundert habe sich die Kirche zu einer klerikal-monastischen Institution mit einem „anti-aufklärerischen Habitus“ entwickelt. Diese Haltung sei damals modern und gesellschaftlicher Konsens gewesen. „Das darf man nicht verkennen“, erklärt Söding. „Brutal formuliert: In kinderreichen Familien auf intelligente junge Männer zu setzen, die in der Kirche Karriere machen konnten, das war einfach ein Erfolgsmodell.“ Das System habe bis in die Fünfzigerjahre des 20. Jahrhunderts funktioniert. „Doch dann kippte es.“

 

Was will das Kirchenvolk?

 

„Weil es so erfolgreich war, können sich einige heute nicht davon lösen.“ Doch weil es zeitbedingt sei, laufe es nun dramatisch dem Abgrund entgegen. „Dieses System muss jetzt aufgebrochen werden.“

Männer und Frauen, die theologisch dieselbe Ausbildung haben wie Priester und über soziale und organisatorische Kompetenzen verfügten, forderten Partizipation und Gewaltenteilung ein. „Einfach nur den Zölibat abschaffen, nein, das klappt nicht. Es wird sich alles ändern“, prognostiziert er. 

 

„Synodaler Weg ist kein theologisches Ober-Seminar“

 

Besteht aber nicht auch die Gefahr, dass der Synodale Weg, bei dem sich die Theologen auf höchstem Niveau auseinandersetzen und diskutieren, am Kirchenvolk vorbeigeht? „Ich habe so ein Gefühl, was das katholische Volk will“, sagt Söding. „Es will Kirche vor Ort und Sakramente. Wenn das nicht mehr gewährleistet ist, rumort es.“

Die Synodalversammlung sei zudem „kein theologisches Ober-Seminar“. Darin engagierten sich Vertreter des ZdK, von Vereinen, Verbänden, Diözesanräte, Politiker und Kulturschaffende. „Ohne theologische Basis sind in der Kirche keine Reformen zu denken. Das Potenzial des Neuen Testaments ist bisher nicht ausgeschöpft.“

 

Katholiken in der Welt schauen auf Deutschland

 

Wie stellen sich Rom und Weltkirche zum Prozess? „Wir Deutschen gelten in der Weltkirche als anstrengend, aber auch als angestrengt. Wir sind diejenigen, die sich Gedanken machen und Fragen stellen.“ Das verschaffe Respekt, jedoch nicht immer „Liebe und Begeisterung“. „Wenn wir jetzt kenntlich machen, dass wir nicht auf dem Weg ins kirchliche Abseits sind, wird das anerkannt“, ist Söding überzeugt.

Die Amazonas-Synode helfe dabei. „Es ist interessant, dass unter völlig anderen klimatischen, geografischen und politischen Umständen sich dort  ähnliche Fragen stellen.“ Von Kritikern werde gern die „weltkirchliche Karte“ ausgespielt, um Reformen auszublenden. „Das ist falsch. In Wirklichkeit schauen viele Katholiken in der Welt nicht nur auf Amazonien, sondern auch auf Deutschland und Australien, um zu sehen, was in der Kirche geht.“

 

„Mehr Mitbestimmung ist ein enormer Gewinn“

 

Themen des Forums „Macht, Partizipation und Gewaltenteilung“ seien etwa, ob der Bischof das alleinige Haushaltsrecht haben soll oder es mit anderen teilen muss. Diese Frage werde in deutschen Bis­tümern schon jetzt unterschiedlich gehandhabt. Auch über die Bischofs-Wahl müsse nachgedacht werden. „Wieso soll nur das Domkapitel den Bischof wählen und nicht der Diözesanrat? Ein Bischof, der nicht das Votum seines Volkes hat, ist schwächer als jemand, der vor Ort gewollt ist.“

Künftige Wahlkämpfe sieht Söding jedoch nicht. Sehr wohl aber Debatten um Alternativ-Kandidaten. „Das würde ich für einen enormen Gewinn halten.“  Auch könne es nicht sein, dass das Wohl und Wehe ganzer Gruppen von Pastoralreferenten und -referentinnen vom jeweiligen Bischof abhängig ist. Zudem müssten Strukturen entwickeln werden, „dass nicht die Willkür des Pfarrherren bestimmt, wie die Gemeinde in den nächsten zehn bis 15 Jahren tickt.“ Es gehe um Mitbestimmung. Es brauche einen Blick von oben und unten bei der Auswahl der Ämter.

 

Kein Debattier-Club

 

Söding ist überzeugt: „Das Forum wird bald begründete Beschlussvorlagen erarbeiten, über die dann abgestimmt wird. Wir werden nicht zwei Jahre lang nur Debattier-Club sein, sondern den Gläubigen zeigen: Es ändert sich etwas in unserer Kirche.“

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